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Pädagogik-Tagung: Gender & Profession
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Pädagogik-Tagung: Gender & Profession

Interview mit Prof. Dr. Thomas Viola Rieske

In Zeiten des demografischen Wandels und politischer Unsicherheiten steht unsere Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Besonders der Fachkräftemangel in pädagogischen Berufen ist alarmierend: Prognosen der Bertelsmann Stiftung zufolge fehlen allein in der frühkindlichen Bildung schon jetzt, im Jahr 2025, bundesweit etwa 113.700 Fachkräfte. Diese Engpässe beeinträchtigen nicht nur die Bildungsqualität, sondern auch die gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Diskussion über Professionalität in der Frühpädagogik immer mehr an Bedeutung: Wie können künftig mehr Fachkräfte für dieses Berufsfeld gewonnen werden? Wie lässt sich langfristig gewährleisten, dass das Qualifikationsniveau nicht sinkt – trotz Quereinsteigenden oder neuen Berufsbezeichnungen?

Diese und weitere Fragen beleuchtete die Jahrestagung der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der DGfE im März an der EvH Bochum. Thema dieses Mal: „Pädagogische Professionalität und Profession – eine Frage der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung?“ Die rund 70 Teilnehmenden diskutierten dabei geschichtliche Aspekte, theoretische Fragen und aktuelle Herausforderungen. Dabei ging es insbesondere auch um das Spannungsfeld von Geschlecht und Professionalisierung: Nach wie vor seien pädagogische Berufe stark durch Geschlecht geprägt, was nicht nur Einfluss auf die gesellschaftliche Anerkennung, sondern auch auf Löhne und Karrierewege habe, sagt Prof. Dr. Thomas Viola Rieske im Interview. Der Erziehungswissenschaftler hat die Fachtagung an der EvH Bochum zusammen mit Prof. Dr. Jeannette Windheuser (Humboldt-Universität Berlin) und Dr. Anna Hartmann (Universität Regensburg) organisiert.


Warum spielt die „Professionalität“ gerade in der Erziehungswissenschaft eine so große Rolle?

Der Begriff der „Professionalität“ wird in der Pädagogik etwa seit den 60er Jahren verwendet. Als Professionen galten ursprünglich Berufe mit vergleichsweise viel Autonomie, Wissenschaftsbezug und hoher gesellschaftlicher Bedeutung – klassischerweise finden sich Professionen in den Bereichen Jura, Medizin und Theologie. Ob pädagogische Berufe Professionen sind, gilt als strittig. Einerseits sind sie keine freien Berufe, sondern stark durch staatliche Regulierung geprägt. Andererseits stehen auch Pädagog_innen vor der Aufgabe, verschiedenste Wissensbestände eigenständig miteinander zu vermitteln, und Entscheidungen zu treffen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sehr wichtig sind. Teilweise wird sich mit der Bezugnahme auf „Professionalität“ ein Statusgewinn erhofft. Teilweise wird er auch genutzt, um entgegen einer Vorstellung von ‚ach, mit Kindern kann jeder arbeiten‘ die Idee einer reflexiven und wissenschaftlich begründeten pädagogischen Praxis zu etablieren. Gerade im Umgang mit Nähe und Distanz ist das in den vergangenen Jahren zunehmend der Fall.


Wie hängen die Themen Geschlecht und Professionalität zusammen?

Die Berufe, die ursprünglich als „Profession“ galten, waren Berufe, die mehrheitlich von Männern ausgeübt wurden – zumindest im deutschen Sprachraum. In anderen Ländern haben sich, wie auf der Tagung berichtet wurde, auch Kindergärtnerinnen als Angehörige einer Profession gesehen. Vielfach wurde, und teilweise immer noch wird Frauen und queeren Personen abgesprochen, professionell handeln zu können. Es wird dann angenommen, sie wären zu emotional, und zu wenig rational, oder zu politisch, um professionell handeln zu können. Aber das ist ein männlich und heteronormativ geprägtes Verständnis von Professionalität. Menschen brauchen einander und werden gebraucht. Forschung zu den Merkmalen der Sozialen Arbeit oder der Elementarpädagogik haben gezeigt, dass sich Professionalität gerade auch durch die – reflektierte – Bezugnahme auf Erfahrung, auf das Persönliche und Biographische auszeichnet. Auf der Tagung wurde zudem verdeutlicht, dass im wissenschaftlichen Nachdenken über Professionalität oft die Geschlechterdimension ausgeblendet wird, obwohl sie für jegliche soziale Praxis bedeutsam ist. Deshalb gehört die Reflexion von Geschlecht auch aus unserer Sicht zu den Aufgaben einer angemessenen, professionellen Pädagogik.


Welche Botschaften können die Studierenden aus der Fachtagung ziehen?

Heutige Studierende müssen in ihrem eigenen Professionalisierungsprozess mit sehr widersprüchlichen Anforderungen und Erwartungen klarkommen. Einerseits sollen sie diversitäts- und gleichstellungsorientiert handeln. Zugleich wird diese Vorgehensweise aber gerade massiv in Frage gestellt: Wir haben gar keinen Konsens darüber in der Gesellschaft, was Gleichstellung und was egalitäre Vielfalt ausmachen und wie sie in der Realität umzusetzen sind. Ganz aktuell gibt es Kräfte, die solche Denkweisen wieder abschaffen wollen – ob in den USA oder bei uns in Europa. Sich dazu zu positionieren, ist für unsere Studierenden eine hohe Herausforderung, weil diese Aspekte so eng verwoben sind mit ihrer eigenen Existenz. Am Ende geht es darum, sowohl politische als auch biografische Ansprüche in pädagogisch legitime Ansprüche zu transformieren. Das heißt: Weder meine eigene biografische Prägung, noch meine politische Überzeugung oder die politischen Anforderungen anderer dürfen eins zu eins in die Pädagogik hineinfließen. Denn am Ende des Tages müssen immer die Lernenden, die Adressat_innen, die Nutzer_innen und deren Bildungsprozesse im Mittelpunkt unserer pädagogischen Entscheidungen stehen. Dafür wiederum müssen wir unser Verhältnis zu Geschlecht kritisch reflektieren, weil wir sonst gesellschaftliche Geschlechteranforderungen übernehmen und damit gerade nicht die professionelle Hilfe leisten können, zu der wir aufgefordert sind.

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Hintergrund:
Die Jahrestagung der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) findet alle zwei Jahre an wechselnden Standorten statt. Gemeinsam mit den anderen beiden Vorstandsmitgliedern hat Prof. Dr. Thomas Viola Rieske die Tagung an der EvH organisiert, die in der Vergangenheit bereits mehrmals Austragungsort war. Bereits seit den 1980er Jahren bietet die Tagung aktuelle Einblicke in die Geschlechterforschung als pädagogisches Querschnittsthema und viele Gelegenheiten zum Netzwerken.

Diskutierten mit den Teilnehmenden über Pädagogische Professionalität und Profession (v.l.): Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann, Rektorin der EvH Bochum, Prof. Dr. Thomas Viola Rieska und Dr. Anna Hartmann. (©EvH Bochum)

Austauschen und Netzwerken stand im Mittelpunkt der Jahrestagung an der EvH Bochum. (©EvH Bochum)

(©EvH Bochum)

 

Das Interview führte: Carmen Tomlik

 

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