In unseren Lebenswelten treffen wir auf Haltungen und Überzeugungen, die das Miteinander-Reden nicht nur schwierig, sondern oft unmöglich machen. „Diese Gegensätze und Konflikte gibt es aber nicht erst seit den Wahlerfolgen der AfD und der Wiederwahl von Donald Trump, sondern sie sind inzwischen leider ein Kennzeichen unserer Gesellschaft“, sagt Prof. Dr. Gotthard Fermor von der EvH Bochum. „Das Problem verschärft sich jedoch dadurch, dass wir diese Kluft zwischen den genannten lebensweltlichen oder politischen Haltungen auch mitten unter den aktiven Kirchenmitgliedern finden, was inzwischen empirisch erforscht und belegt ist.“
Welche Herausforderungen sich daraus bei der „Kommunikation des Evangeliums“ ergeben und welche Erkenntnisse aus der Konfliktforschung helfen können, war das große Thema beim Gemeindepädagogischen Studientag im Juni 2025, der aufseiten der EvH von Prof. Bell gemeinsam mit Diakonin Dr. Britta Lauenstein organisiert wurde. Der Studientag ist eine Veranstaltung der EvH Bochum in Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Institut der Ev. Kirche von Westfalen und dem Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland und richtet sich an Beschäftigte in gemeindepädagogischen Arbeitsfeldern, Studierende und Absolvent_innen.
Sozialwissenschaftliche und theologische Perspektiven
Die gut besuchten Keynotes boten einen differenzierten Einstieg ins Thema – Dr. Yann Rees vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Uni Bielefeld beleuchtete sozialwissenschaftliche Perspektiven von Konflikt und Zusammenhalt. Pfarrer Walter Lechner, Referent für Sozialraumorientierung in Diakonie und Kirche bei der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi), ging auf theologische Grundlagen für Konfliktkultur ein. So sei die Bibel für ihn Konfliktbuch und Versöhnungsbuch zugleich. „Sie steckt voller Erfahrungen gelingender Kommunikation und heilender Beziehungen.“ Oft seien die Verständigungen mit Orten verbunden – man sitzt gemeinsam am Tisch, trifft sich am Dorfbrunnen, am Eingang der Stadt oder auf dem Weg. „Und auch wenn es zwischen Kain und Abel letzten Endes keine Einigung gibt, sondern einen Mord“, führte Walter Lechner weiter aus, „gibt es dennoch Verständigung – nämlich zwischen Gott und Abel, der sich trotz der schrecklichen Tat dessen Bedenken und Ängsten annimmt und zuhört.“
Am Nachmittag gingen die Teilnehmenden des Studientags der Frage nach: „Was ist zu tun?“ In verschiedenen Workshops zu konstruktiver Kommunikation oder zum Umgang mit Rechtsextremismus diskutierten sie gemeinsam Lösungsansätze für die diakonische Praxis.
Pfarrer Walter Lechner sprach über die theologischen Perspektiven zu Konflikt und Versöhnung.
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Eine Interpretation ist, dass wir Kontakt brauchen – und zwar echten, erlebten Kontakt – um Vorurteile abzubauen. Aus der Forschung wissen wir, dass Menschen, die zu Vorurteilen neigen, auch eher zu abwertenden Einstellungen tendieren. Noch wesentlicher ist für mich aber der Einfluss von politischen Normen und Normalität – also die Frage danach, was auf die persönliche Einstellung einwirkt. Die starke Präsenz von rechten Gruppierungen und Parteien wie der AfD ist aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Faktor: Wenn rechte Positionen unwidersprochen bleiben, werden sie nach und nach zur „Mehrheitsmeinung“. Die Menschen bekommen also das Gefühl, sich für die Mehrheit, für das Volk einzusetzen – und das kann wiederum als Legitimation für ideologisch motivierte Straf- und Gewalttaten dienen, die sich gegen Menschen richten, die als fremd wahrgenommen werden.
Wir brauchen Orte, an denen man Konflikte austragen kann – am besten, um Zusammenhalt zu fördern, oder zumindest, um Zusammenhalt nicht weiter zu schädigen. Das muss vielleicht auch reichen. Dazu zählen Kirchengemeinden ebenso wie Orte, die man nicht sofort assoziiert, nämlich Kneipen, Büdchen oder Vereine. Physische Orte, die in vielen Teilen Deutschlands immer weniger werden – und ich sage bewusst physisch und nicht online, weil ich glaube, dass in digitalen Diskussionen noch einmal ganz andere Normen und Regeln gelten – auch wenn im erst einmal Netz viel Kontakt und Interaktion stattfindet, hat das eine andere Qualität. Im direkten Interagieren, wenn man sich gegenübersteht, lassen sich Konflikte zielführender lösen.
Wenn Konflikte unausgetragen bleiben, fangen sie an zu schwelen und sich tiefer in den Köpfen zu verankern. Bestimmte politische Akteure, vor allem aus dem rechten Spektrum, machen sich das gezielt zu Nutze. Das haben die letzten Jahre gezeigt. Hinzu kommen Konflikte, die konstruiert oder größer geredet werden, als sie eigentlich rein politisch, wirtschaftlich oder sozial sind. Das sind oft Themen, die mit einer starken Symbolik aufgeladen sind. Denken Sie beispielsweise an Migrationsdebatten, die meines Erachtens häufig nicht sachgerecht geführt werden, sondern auf Hören-Sagen und Meinungen beruhen und wenig auf Fakten. Darin sehe ich eine Gefahr – dass man die Hoheit darüber verliert, wie Konflikte überhaupt ausgetragen werden. Denn um sie auszutragen, braucht es klare Grundlagen. Leute, die gar kein Interesse an einer Konfliktlösung haben, sondern den Diskurs vernichten wollen, sind sehr schwierige Diskussionspartner_innen. Um wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, können sehr einfache Kommunikations-Regeln helfen und dass man gemeinsame Wertvorstellungen festlegt z. B. den Grundsatz: Menschen machen vielleicht auch mal Probleme, aber Menschen sind niemals Probleme.
Mehr persönliche Kontakte und mehr Räume für Begegnung braucht es laut Dr. Yann Rees um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.
(Bochum, den 10. Juni 2025)