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Kongress Psychomotorik: Mehr als Bewegung
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Kongress Psychomotorik: Mehr als Bewegung

Psychomotorik ist ein ganzheitliches Konzept, das Körper, Geist und Emotionen miteinander verbindet. „Gerade in der heutigen Zeit, in der psychische und motorische Auffälligkeiten zunehmen, Stress, Entfremdung und Sinnverlust allgegenwärtig sind, gewinnt die Psychomotorik in pädagogischen und therapeutischen Kontexten, gesellschaftlich eingebettet, an Relevanz“, betont Prof. Dr. Stefan Schache von der Evangelischen Hochschule Bochum (EvH Bochum). Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik e.V. (DGfPM) und dem Forschungs- und Promotionszentrum TiFo der EvH Bochum hat er den Psychomotorik-Kongress an der Hochschule organisiert. Am 12. und 13. September 2025 vernetzten sich rund 300 Fachleute unter dem Titel „Psychomotorik im Dialog – Perspektiven gemeinsam entwickeln“. Die mehr als 30 Seminare und Workshops setzten neue Impulse für die Aus- und Weiterbildung.

Kinder brauchen Resonanz

Auf ein besonderes Interesse stieß die Keynote von Prof. Dr. Renate Zimmer von der Universität Osnabrück. Die Erziehungswissenschaftlerin und emeritierte Professorin für Sportwissenschaft hat sich auf den Schwerpunkt „Frühe Kindheit“ spezialisiert. In ihrem Vortrag „Kinder brauchen Resonanz“ setzte sie sich mit der Interaktionsgestaltung in der frühkindlichen Bildung und Entwicklung auseinander. Sie sagt: „Wenn wir wollen, dass Kinder leuchtende Augen bekommen und ‚Feuer und Flamme‘ für eine Sache sind, dann braucht es auch jemanden, der diese Flamme entzündet.“

Die Resonanzen, die das Kind bei seinen Bezugspersonen auslösen und von diesen zurückerhalten, geben ihm die Gewissheit, dass es existiert, sagt Prof. Zimmer. „Dabei geht es immer um eine wechselseitige Beeinflussung und um einen Lernprozess.“ Besonders schmerzhaft sei es deswegen, wenn Kinder diese Interaktion nicht erfahren, etwa wenn die Eltern ihre Aufmerksamkeit auf das Smartphone richten. „Ein Mangel an Resonanz führt zu einem Ohnmachtsgefühl und zu Hilflosigkeit – ‚niemand beachtet mich‘. Die Folgen sind oft Resignation oder aggressives Verhalten, zusätzlich beobachten wir vermehrt sprachliche Defizite wie einen geringen Wortschatz.“

Ganzheitliche Zugänge in Pädagogik und Therapie

Psychomotorische Praxis und Forschung gibt es seit vielen Jahrzehnten in Deutschland und Europa. Doch dass das Selbstverständnis nicht immer ganz eindeutig ist, zeigte der dialogische Vortrag von Prof. Stefan Schache von der EvH Bochum und Prof. Dr. Holger Jessel von der Hochschule Darmstadt. „Wir bewegen uns zwischen Motopädagogik, Ergo- und Physiotherapie, Bewegungspädagogik oder Körperpsychotherapie. Im Grunde geht es aber immer um die Wechselbeziehung zwischen motorischer Handlung und psychischem Erleben, Einschätzen, Verstehen und Denken. In der Spezifizierung dieses Ansatzes hat sich in der Psychomotorik der Begriff des Leibs, bzw. Leibkörpers etabliert – also das Verständnis der ganzheitlichen Einheit von Körper, Geist und Seele in sozialen, kulturellen Zusammenhängen.“

Diese Sichtweise entdeckten nun viele andere Disziplinen für ihre pädagogischen und therapeutischen Zusammenhänge neu, sagt Prof. Schache. Etwa die Soziale Arbeit: „Pauschalisiert lässt sich sagen, dass Sozialarbeiter_innen bisher vornehmlich mit Menschen gesprochen haben bzw. die Beziehung zu Klient_innen meist über kognitiv-rationale Zugangsweisen gestaltet wurde. Inzwischen steht aber der gesamte Mensch im Fokus, also auch sein ganzer Körper. Dieser drückt sich aus und nimmt gleichzeitig sein Umfeld wahr.“ Die Ideen aus der Psychomotorik zielten genau darauf ab, dass ein Verhältnis nicht rein sprachlich passiere, sondern das präreflexive Verhalten in die Beziehung einfließe. Der Körper gebe uns nämlich schon relativ deutlich Auskünfte darüber, was die jeweiligen Themen der Klient_innen seien, so Prof. Schache.

Wie geht es Dir? Was machst Du? Was ist Deine Biografie? Diese Fragen blieben natürlich weiter wichtig, vor allem im Umgang mit vulnerablen Personengruppen – von Kindern in unterschiedlichen Entwicklungsstufen über Menschen mit Behinderungen oder Personen mit Fluchtgeschichte. „Gleichzeitig haben wir aber eine andere Modalität, nämlich den Körper sprechen zu lassen. Dies geschieht entweder dadurch, dass wir besonderen Wert legen auf ein zwischenleibliches Beziehungsgeschehen oder dadurch, dass der Körper sich ausdrücken darf z. B. in Bewegungsspielen.“

Wirksame Zukunftsaufgaben?

Doch wie lässt sich ein Behandlungserfolg konkret belegen? Wie gelingt eine evidenzbasierte Psychomotorik? „In den vielen Workshops und Austauschformaten unseres Kongresses haben wir gemerkt, dass dies wichtige Zukunftsfragen unserer Fachcommunity sind, vor allem bei den Nachwuchswissenschaftler_innen, die sich wieder vermehrt mit Wirksamkeitsstudien auseinandersetzen müssen“, bilanziert der Experte von der EvH. Wirksamkeitsstudien sind für die Psychomotorik entscheidend, um eine Anerkennung durch Krankenkassen und damit eine stabile Finanzierung zu sichern. „Gleichzeitig sind sie aber herausfordernd, da die strengen Vorgaben, z. B. klassische RCT-Studien (Randomized Controlled Trial), schwer mit dem ganzheitlichen, körperorientierten Verständnis der Psychomotorik vereinbar sind. Bisher erfolgt die Finanzierung darum vor allem über Vereine, Jugendhilfe oder Reha-Träger – und das wollen wir langfristig ändern.“

Bildergalerie

In unserer Bildergalerie gucken wir zurück auf den Kongress „Psychomotorik im Dialog – Perspektiven gemeinsam entwickeln. (©EvH Bochum)


Fördern als Veranstalter_innen den Dialog in der Psychomotorik – nach innen und außen: Prof. Dr. Stefan Schache, Horst Göbel, Manuela Rösner und Prof. Dr. Holger Jessel (v.l.n.r.). Nicht im Bild: Mitorganisator Prof. Dr. Henrik Göhle. (© EvH Bochum)

 

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