Auf dem Buß- und Bettagsempfang der Diakonie Ruhr hat Armutsforscher und Ex-Bundespräsidentschaftskandidat Prof. Christoph Butterwegge jetzt die soziale Ungleichheit in Deutschland angeprangert und einen Umbau des Sozialstaates gefordert. Im Rahmen der Vorlesungsreihe "Schattenseiten" der Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe betonte er: "Armut hierzulande wird verharmlost."
Eine Relativierung des Armutsbegriffs durch das Heranziehen von Beispielen aus Entwicklungsländern sei unzulässig. "Armut in einem reichen Land kann viel deprimierender sein als in einem armen, weil man Ausgrenzung erfährt. Der Betroffene wird für seine Lage selbst verantwortlich gemacht, erniedrigt und verhöhnt", sagte Butterwegge.
Auf Bochum bezogen sprach Bürgermeisterin Astrid Platzmann-Scholten von einer fünfstelligen Zahl Arbeitslosengeld-II-Bezieher und davon, dass jedes vierte Kind in der Stadt in einer Familie mit ALG-II-Bezug aufwächst.
An die Ursachenforschung machten sich Karola Geiß-Netthöfel (Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr), Barbara Eschen (Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz) und Helmut Eigen (Stellvertretender Vorsitzender des Arbeitslosenzentrums "Der Verein") in der anschließenden Podiumsdiskussion. Es moderierte WDR-Mann Matthias Bongard.
Dass die nordrhein-westfälische Landesregierung ihre Zuschüsse zum Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr infrage stellt und das Projekt damit gefährdet, sorgte bei allen Beteiligten für Empörung. "Arme sollen halt zuhause bleiben", sagte Helmut Eigen bissig.
Barbara Eschen appellierte an die Solidarität Besserverdienender. "Menschen, denen es gut geht, sollen akzeptieren, dass sie für sozialen Wohnungsbau in ihrer Nachbarschaft Platz einräumen müssen."
Für den Ausbau des Sozialstaates forderte Butterwegge konkret eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete einzahlen sollen und die auch andere Einnahmen als das Erwerbseinkommen berücksichtigt.
Der Mindestlohn sei noch zu niedrig, um eine Familie zu ernähren. Minijobs führten zu Altersarmut. Leiharbeit müsse eine Ausnahme und nicht die Regel sein. Vermögen und Erbschaften müssten höher besteuert werden. Der Solidaritätszuschlag solle nicht abgeschafft, sondern zur Bekämpfung der Kinderarmut umgewidmet werden.
"Ich sehe mit Schrecken, dass das Ruhrgebiet zum Armenhaus der Republik geworden ist", sagte Butterwegge beim Diakonie-Empfang im Atrium der Bochumer Stadtwerke. Karola Geiß-Netthöfel kündigte für März die erste Sozialkonferenz für das Ruhrgebiet an, bei der die Ursachen für die soziale Schieflage im Mittelpunkt stehen sollen.
Text: Felix Ehlert/Diakonie Ruhr