Am 25. Mai 2020 hielt Prof. Dr. Theresia Degener live über Zoom und YouTube einen Vortrag zum Thema „UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) aus Disability Studies (DS) Perspektive“. Als Rekord wurden insgesamt ca. 170 Teilnehmende verzeichnet.
Es war der zweite Vortrag der Online-Vortragsreihe „Disability Studies – Diversity für alle! Oder?“, organisiert von Jens Koller und Sinem Malgac vom Transfernetzwerk Soziale Innovation (s_inn) sowie von Gudrun Kellermann vom Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) der Evangelischen Hochschule RWL (EvH) in Kooperation mit der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Für weitgehende Barrierefreiheit sorgten Gebärdensprach- und Schriftdolmetschung (weitgehend, denn digitale Barrierefreiheit hat auch ihre Tücken).
Theresia Degener, Professorin für Recht und Disability Studies und Leiterin von BODYS an der EvH, war Mitverfasserin der UN-BRK und Mitglied des UN-BRK Ausschusses in Genf und konnte somit direkt aus der Praxis vortragen.
Im Vortrag standen zunächst die Schnittpunkte zwischen der UN-BRK und den DS im Fokus, bei denen die Anerkennung des menschenrechtlichen Modells von Behinderung einen zentralen Bezugspunkt darstellt. Dies ist aus der Behindertenbewegung als Kritik auf das medizinische – an Defiziten orientierte – Modell entstanden und dient unter Berücksichtigung der Menschenrechte als normativer Fahrplan für die Behindertenpolitik.
Aus diesem Paradigma haben sich die Disability Studies etabliert, die Behinderung als soziales Konstrukt anerkennen und aus einer neuen Perspektive erforschen. BODYS geht von der Prämisse aus, dass die weiterentwickelten Modelle der DS ein theoretischer Bezugsrahmen für die UN-BRK sind. Gleichzeitig bedingt das menschenrechtsbasierte und partizipative Leitmotiv der UN-BRK die Forschung im Rahmen der DS, in der Menschen mit Behinderung aktiv forschen sollen.
Beide haben das übergreifende Ziel der Autonomie und Gleichheit von Menschen mit Behinderungen fest verankert und sprechen sich klar gegen Diskriminierungspraktiken wie Zwang, Fürsorge und Vormundschaft aus. Aus ihren Ausführungen schlussfolgerte Degener, dass eine Etablierung von Legal Disability Studies in Deutschland wünschenswert wäre und mehr menschenrechtsbasierte partizipative Forschung im Kontext der DS sowie Forschung zur UN-BRK aus Sicht der DS stattfinden müssten.
Dem wissenschaftlich orientierten, aber keineswegs trockenen Vortrag schloss sich eine angeregte Diskussion an, die alle Facetten von der Wissenschaft hin zur Behindertenpolitik erfasste. Besonders die aktuelle Corona-Pandemie zeigt, dass das medizinische Modell überwiegt und Menschenrechtsverletzungen legitimiert werden. Menschen mit Behinderung in Pflegeheimen und Krankenhäusern sind im besonders schwerwiegenden Maß gefährdet und weder in der politischen Diskussion noch in der Forschung wirklich repräsentiert.
Weitere Punkte der Diskussion waren die fehlende Barrierefreiheit für viele behinderte Menschen, die im Kontext der Pandemie teilweise verschärft wird, gesellschaftliche Tendenzen, besonders infektionsgefährdete Menschen noch weiter zu isolieren, sowie das geplante IPReG (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz), das in seinem jetzigen Entwurf die Rechte von beatmungspflichtigen Menschen weiter beschneiden würde.
Thematisiert wurden ebenso nach wie vor bestehende Zwangsbehandlungen im Bereich der Psychiatrie und die schwerfällige Implementierung der Disability Studies in Deutschland. Hier müssten explizite Handlungsmaßnahmen im Sinne der UN-BRK und der DS entwickelt werden, welche auf politischer und wissenschaftlicher Ebene Eingang finden sollten. Mehr zu BODYS und UN-BRK: https://www.bodys-wissen.de/un-behindertenrechtskonvention.html