„Krise der Demokratie? Zwischen (Rechts-)Populismus und Gegenstrategien“: Am Donnerstag, 11. April 2019, fand der erste Vortrag der Reihe - in der EvH RWL und Evangelische Stadtakademie Ursachen für Rechtspopulismus hinterfragen - in den Räumlichkeiten der Bochumer Stadtbibliothek statt. Nach mehreren Veranstaltungen in Kooperation mit der Stadtakademie, die an der Evangelischen Hochschule stattfanden, kam die EvH RWL damit nun zu den Bürger_innen in die Stadt.
So waren rund 20 Besucher_innen gekommen, um sich den Vortrag von Tim Schatto-Eckrodt, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Münster, unter dem Titel „R@dikal digital?“ anzuhören. Darin gab er einen anschaulichen Einblick in das Repertoire an Möglichkeiten, online propagandistische Inhalte zu verbreiten. Anhand von Beispielen aus einem laufenden Forschungsprojekt kamen neben Formen der Furcht- und Hassrede, gezielten Falschinformationen und künstlichen, durch Bots erzeugten Pseudo-Meinungstrends auch Apps für Kinder sowie Online-Spiele zur Sprache.
Tim Schatto-Eckrodt ordnete die Verbreitung propagandistischer Inhalte dabei in differenzierter Weise ein: Diese sei grundsätzlich zwar nichts Neues – so habe man dieses Mittel etwa bereits in der Reformationszeit mit Flugschriften in großem Umfang eingesetzt. Was die heutige Online-Propaganda aber in besonderer Weise befördere, sei das Fehlen von „Torwächtern“. Da „wir nicht mehr auf dem Marktplatz stehen“, so Tim Schatto-Eckrodt, und keine Selektion durch eine professionelle Instanz stattfinde, könnten propagandistische Inhalte online ein im Grunde unbegrenztes Publikum erreichen.
Hinzu komme, dass die Grenze zwischen Wahrheit und Fake nicht immer eindeutig zu ziehen sei und man deshalb von einer „Informationsunordnung“ sprechen müsse. Schatto-Eckrodt lud die Besucher_innen hier zu einem Selbsttest ein: Per Handzeichen konnten diese über den Wahrheitsgehalt einiger ins Netz gestellter Meldungen zu Geflüchteten abstimmen, wobei sich durchaus Uneinigkeit zeigte. Dies sei auf die geläuife Technik in der Online-Propaganda zurückzuführen, so der Referent, richtige Teilinformationen mit falschen Interpretationen zu verknüpfen.
Trotz dieser Entwicklungen und Herausforderungen dürfe man aber kein zu negatives oder einseitiges Bild zeichnen. Denn zum einen führe Online-Propaganda allein noch zu keiner Radikalisierung. Zum anderen gäbe es immer mehr Initiativen, die solcher Propaganda etwas entgegenzusetzen versuchten. Bei diesen ginge es um Aufklärung, aber auch um die Etablierung sogenannter „Counter-Narrative“.
Tim Schatto-Eckrodt betonte zwar die Bedeutung solcher Initiativen, zu denen „Laut und freundlich“ oder „#ichbinhier e.V.“ zählten. Zugleich entließ er sich und die Besucher_innen aber gerade auch nicht aus der eigenen Verantwortung. Schatto-Eckrodt beendete seinen Vortrag mit dem Appell, selbst online „aufmerksam, freundlich, kritisch und konstruktiv“ zu bleiben.
In der anschließenden, lebhaften Diskussion wurden weiterhin beide Seiten – Risiken und Chancen – digitaler Kanäle und sozialer Netzwerke thematisiert. So bestätigte Tim Schatto-Eckrodt auf Nachfrage von EvH-Rektorin Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann, dass sich Diskurse zu gesellschaftlichen oder politischen Themen schneller auf Pro- und Contra-Positionen verengten. Dies habe man besonders eindrücklich anhand des Diskussionsverlaufs zum Brexit sehen können. Zudem sei auf die Bedeutung einer „information warfare“ hinzuweisen, wie sie etwa nachweislich von Russland im US-Wahlkampf betrieben wurde.
Andererseits kam in der Diskussion ein neuer und positiver Punkt zur Sprache: So böte das Netz Vertreter_innen gesellschaftlicher Gruppen eine Sprecherposition, die sonst eher Objekt als Subjekt medialer Diskurse seien. Tim Schatto-Eckrodt führte hierfür das Beispiel des Twitter-Kanals von Raul Krauthausen an, auf dem dieser kritisch und alltagsnah auf Probleme bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung hinweise. Dieses auch emanzipatorische Potenzial von Netzkommunikation bestätige, dass verallgemeinernde Krisendiagnosen in Bezug auf ‚das‘ Internet falsch wären.
Man solle und könne den Menschen das Internet als „Sprachrohr“ ohnehin „nicht wegnehmen“. Entscheidend sei vielmehr, so resümierte Schatto-Eckrodt am Ende der Diskussion, eine frühe Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen und in den Familien.