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Sozialarbeiterinnen in spe besuchen die JVA Bochum
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Sozialarbeiterinnen in spe besuchen die JVA Bochum

Zu Gast beim Gefangenenchor der JVA Bochum

Im Rahmen des Projektes „Übern Tellerrand – Kirche & Co“ besuchte am 7.6.2017 eine kleine Gruppe Studierender der Sozialen Arbeit der EvH gemeinsam mit der Hochschulseelsorge der EvH die JVA Bochum in Krümmede. Nach einer Führung über das weitläufige Gefängnisgelände und durch alte und neue Gebäudetrakte, durch unzählige Stahlgittertüren, Gänge, Flure und Treppen vorbei an Stacheldraht, Wachleuten und einer Zelle nach der anderen gelangte die Gruppe schließlich zur Gefängniskapelle, wo sie sich zur Chorprobe und einem anschließenden Gespräch mit dem Ev. Gefangenenchor und dem Gefängnisseelsorger der JVA Bochum, Pfarrer Burghard Boyke, traf.

Der Raum war nach der bedrückenden Atmosphäre des Öffnens und Schließens, der Enge der Zellen und dem zum Teil ohrenbetäubenden Lärm auf dem Hof (die Häftlinge hatten Freistunde) eine Wohltat: groß, freundlich und vor allem still. „Ja, das ist typisch für ein Gefängnis – der Lärm. Auch das ist ein Grund für viele, hierher zu kommen,“ erläutert Boyke den erlebten Kontrast.

Die Kapelle - ein friedlich wirkender Ort, ganz anders als die kahlen Gefängnisflure. Zwei große Tische mit Kerzen, weißer Tischdecke, Keksen und Kaffeebechern, dahinter ein großer Stuhlkreis, ein Klavier und ein Verstärker. Ein großer, etwas altertümlicher Raum voller Ruhe. Wenig später treffen die Mitglieder des evangelischen Häftlingschors der JVA ein, die zu ihrer Chorprobe eingeladen haben. Einer der Männer, der Küster, ebenfalls ein Häftling, entzündet die Kerzen auf dem Altar und die große Osterkerze, ein kleines buntes Kirchenfenster mit einem biblischen Motiv im Giebel. Die meisten Inhaftierten sitzen über viele Jahre ein, entweder wegen begangener schwerer Kapitalverbrechen oder weil sich Straftaten und Haftstrafen summierten.

„Braucht man nicht eine bestimmte Haltung, wenn man das studiert?“ fragt ein Häftling die Studentinnen bei der Vorstellungsrunde. „Ich finde, wer Soziale Arbeit studiert, braucht so was wie Nächstenliebe,“ beendet er lachend die Fragerunde.“ Es geht ans Singen: Kirchenlieder für den kommenden Sonntagsgottesdienst im Knast. Gitarristen, Cachonspieler und Pfarrer Boyke am Klavier. Vollmundige Männerstimmen, fast wie ein Shantychor, unterstützt von den eher zaghaft hellen Stimmen der Frauengruppe der EvH – für die Männer, wie sie sagen, nach all den Haftjahren erfreulich ungewohnt.

Zwischen zwei Liedern erzählt Pfarrer Boyke eine Geschichte von zwei Zwillingsbrüdern, Jakob und Esau, wie der eine den anderen folgenreich betrügt und wie von da an Hass und Feindschaft die Brüder trennt, es unerwartet dann nach Jahren doch noch zur Versöhnung kommt. Hier in Gegenwart der „Verbrecher“ ist das plötzlich mehr als eine harmlose Geschichte aus der Bibel. Das Wort „Betrug“ steht glühend heiß im Raum. Unbehagen ist auf beiden Seiten spürbar, als diese 1000 Jahre alte Geschichte an das Tabu „Straftat“ kratzt.

Bei Kaffee und Plätzchen an den weißen Tischdecken drehen sich Teile des Gesprächs um die Profession des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin. Einer der Inhaftierten fasst seine Erfahrungen mit Sozialarbeiter_innen im Knast zusammen und erntet von den Mithäftlingen einige Zustimmung: „Wenn wir ehrlich sind: Sozialarbeiter sind eigentlich unsere Feinde. Sie vertreten die Jusitz und wollen uns gläsern machen. Sie entscheiden, was aus dir wird.“ Sein Sitznachbar ergänzt: „Das gilt aber nicht für alle. Es gibt auch welche, die kommen von außen. Die sind besser.“ „Sozialarbeiter sind in den ersten zehn Tagen nützlich, bei der Abwicklung der Formalien wie Wohnung kündigen, sich beim Jobcenter etc. abmelden, ein neues Zuhause für die Katze suchen… . Danach ist das Verhältnis schwierig. Sie haben viel Macht, entscheiden, wo du hinkommst…. Den Kontakt sollte man meiden…“

Viele der Häftlinge sind einsam. Kontakt zu Angehörigen haben nur wenige. Viele Beziehungen zerbrechen über die Jahre.  Auch die Besuchszeiten sind knapp (2 Stunden im Monat). Es gibt einen Raum für Paare, der aber nur für eheähnliche, das heißt langjährige Beziehungen, genutzt werden kann und nur selten angefragt wird.

„Das, was Sie hier machen, könnte ich nicht“, sagt schließlich eine Studentin im Nachgespräch zu Pfarrer Boyke. „Mich würde das hier bedrücken, und mir würden die Erfolgserlebnisse fehlen. Die Rückfallquote liegt doch sehr hoch?“ „Ja, stimmt, Erfolge im Sinne von ,Leute, auf den rechten Weg  bringen´ habe ich hier nicht. Das sehe ich aber auch nicht als meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist eher, die Menschen zu begleiten. Ich kann an vielen Sachen nichts ändern, weder daran, dass eine Ehe kaputt geht oder an der Einsamkeit, aber ich kann als Gesprächspartner da sein. Seelsorge ist ein höchst geschützter Raum. Es wird nichts dokumentiert oder abgehört. Das ist rechtlich geschützt. Das ist gerade in diesem Umfeld eine absolute Ausnahme. Hier gibt es ja keine Intimsphäre. Du, Deine Sachen, Deine Zelle können zu jeder Zeit durchsucht und überwacht werden. Das unterscheidet unsere Arbeit von der der Sozialarbeiter.“

Der Weg in die Freiheit geht schneller. Es tut gut, wieder vor den Gefängnismauern zu stehen.

Der Blick in hinter die Gefängnismauern und besonders das Gespräch mit den Gefängnisinsassen haben tiefe Eindrücke hinterlassen. Durch die besondere Perspektive der Gesprächspartner auf dieses Feld der sozialen und kirchlichen Arbeit haben sich viele Fragen ergeben.  

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