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Von Dorfbrunnen und Wadenbeißern
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Von Dorfbrunnen und Wadenbeißern

Die Teilnehmer_innen der Podiumsdiskussion mit dem Organisationsteam von EvH Bochum und LAG-F NRW, mittig Ministerin Josefine Paul neben EvH-Rektorin Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann und LAG-F NRW Vorsitzendem Manuel Becker

Am 26.06.2024 kamen Vertreter_innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis an der EvH Bochum zusammen, um über den Wandel in der Quartiersarbeit zu sprechen. Quartiersarbeit, eine Methode der Sozialen Arbeit, verbessert durch gezielte Maßnahmen und Projekte die Lebensqualität in Wohngebieten, indem sie die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen stärkt. Im Mittelpunkt stehen die aktive Einbeziehung der Bewohner_innen und die Zusammenarbeit mit lokalen Akteur_innen, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen. So wird der soziale Zusammenhalt gefördert und ein lebendiges, sicheres und zukunftsfähiges Umfeld geschaffen.

Josefine Paul beim Impulsvortrag

Der von den EvH-Professor_innen Susanne von Hehl und Frank Mücher in Kooperation mit Dr. André Hartjes (Diakonie RWL) organisierte Fachtag nahm insbesondere die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in den Blick und stand unter dem Motto "Starke Familien, Faire Chancen." Dazu war Josefine Paul (Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen) zu Gast und betonte in ihrem Impulsvortrag, dass es ein ganzes Quartier brauche, um ein gutes Umfeld für Familien zu schaffen. Es beschäftige sie, dass junge Menschen pessimistisch in die Zukunft blicken. Daran zeige sich auch, dass es in den verschiedenen Lebenssituationen unterschiedliche Bedarfe gebe: Während für Jugendliche die Mobilität für einen selbstbestimmten Alltag im Vordergrund stehe, sei es bei anderen die Kinderbetreuung, Inklusion oder Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die in Deutschland bereits gelebte Familienvielfalt halte sie nicht für selbstverständlich, sondern für eine Errungenschaft der Demokratie. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Grundgesetzes wünsche sie sich darin eine Verankerung der Kinderrechte.

Angeregter Austausch zwischen Publikum und Podiumspanel

Die Panelteilnehmerinnen der anschließenden Podiumsdiskussion skizzierten ihre Tätigkeiten im Quartier und formulierten Wünsche und Impulse aus ihrem Arbeitsbereich an die Politik.

Andrea Masanek-Becker, Jihan Khodr und Miriam Lotz schilderten ihre Erfahrungen als Familienpatinnen des SKFM Wattenscheid und betonten: Wir benötigen für unsere Arbeit Verlässlichkeit und Verstetigung, damit entlasten wir nicht nur die Familien, sondern auch die Behörden. Ihre Arbeit, die Hausbesuche und Beratungsangebote umfasst, bietet Unterstützung in verschiedenen Lebenslagen.

Der proaktiven Herangehensweise hat sich auch Tanja Knopp, die das Familiengrundschulzentrum Gertrudisschule Bochum leitet, verschrieben. "Wir dürfen kein Kind und keine Familie verlieren und kämpfen dafür auch wie Wadenbeißer." Für eine zukunftsfähige Gesellschaft betreibe sie auch massiven Energieaufwand bei einzelnen Familien, um sie in die Nachbarschaft einzubinden und ihnen Zugang zu Beratung zu ermöglichen. Sie träumt von einem "Sekretariat Plus", bei dem Grundschulen gleichzeitig Beratungsorte mit Fachkräften sind, die den Weg in Angebote erleichtern. So möchte sie Ressourcen effektiver nutzen.

Dezernentin für Soziales, Jugend und Gesundheit der Stadt Herne Stephanie Jordan bemüht sich mithilfe von strategischer Planung um die Ressourcenbündelung. "Das aktuelle Zuständigkeitsgerangel verlangsamt die Prozesse", erklärt sie. Wenn Ressourcen sinnstiftend eingesetzt würden, könne man an einigen Stellen die Begleitung zurückfahren und effektive Unterstützung ermöglichen.

Das unterstützt auch Heike Kessler-Wiertz von der Diakonie Aachen & Werkstatt der Kulturen Aachen. Es gehe nicht darum mit dem Gießkannenprinzip Fördergelder zu verteilen, sondern zu schauen, wo konkrete Bedarfe festzustellen seien und diese zu bearbeiten.

Tanja Brückel vom Landesverband der Mütterzentren NRW & LAG Familie NRW fordert einen ganzheitlichen Ansatz in der Quartiersarbeit. "Es braucht öffentliche Räume, in denen Begegnung stattfinden kann." Es sei wichtig, nicht nur die Probleme zu sehen, mit denen die Menschen kommen, sondern auch die Kompetenzen und Erfahrungen zu berücksichtigen. Durchmischung sei für diese Orte wichtig, so bekomme man auch Einblicke in den Alltag anderer außerhalb der eigenen Bubble. Der Austausch, Verständnis und ein unterstützendes Miteinander entstehe dann oft von selbst. Dafür brauche es neben einem Ort jedoch auch hauptamtliches Personal.

Prof. Dr. Susanne von Hehl der EvH Bochum beschreibt in Bezug auf die Ausbildung neuer Fachkräfte: "Wir vermitteln den Studierenden eine Offenheit für die Menschen. Wenn jemand mit einem Problem kommt, passiert es oft, dass man eine Schublade aufmacht. Wichtig ist es jedoch auf die Kompetenzen zu blicken und zu zeigen: Ich sehe Dich als Mensch". Diese Ressourcenorientierung fehle oft, obwohl Projekte mit diesem Ansatz erfolgreich seien.

Das "große Kaleidoskop der Impulse", wie Moderator Klaus Bellmund den Fachtag zusammenfasste, zeigte auf vielfältige Weise die Bedeutung von Orten der Begegnung. Sie fungieren als moderne Dorfbrunnen, bei der auf die unterschiedlichen Bedarfe eingegangen werden kann, Wissen geteilt und Lösungen implementiert werden können.

"Der Fachtag selbst ist ein schöner Ort der Begegnung gewesen und hat, denke ich, die meisten mit einem positiven Gefühl zurück an die tägliche Arbeit gehen lassen. Von solchen Veranstaltungen bräuchten wir viel mehr.“, freut sich Prof. Dr. Susanne von Hehl über den gelungen Austausch.

Die Ergebnisse des Fachtags wurden kreativ durchs Grafic Recording von Birgit Jansen festgehalten.

Veranstaltet wurde der Fachtag durch die Evangelische Hochschule Bochum (EvH Bochum) und die Landesarbeitsgemeinschaft Familie NRW (LAG-F NRW):
Die EvH Bochum ist mit ca. 2.600 Studierenden die größte evangelische Hochschule in Deutschland. Ihre neun Studiengänge sind im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen angesiedelt und bilden gesellschaftliche Zukunftsgestalter_innen aus.
Die LAG-F NRW setzt sich für die Interessen aller Familien ein und ist ein Zusammenschluss von elf eigenständigen Mitgliedsverbänden.

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