Die Welt wird immer vielschichtiger. Auch die Welt der Diakonie. Ob Digitalisierung, demografischer Wandel oder soziale Teilhabe - Diakonische Unternehmen und Werke müssen ihren Umgang mit einer zunehmend komplexen und komplizierten Welt reflektieren und steuern. Dieser anspruchsvollen Aufgabe stellte sich jetzt in Wuppertal das "Fünfte Theologische Forum" der Diakonie RWL, bei dem auch EvH-Rektorin Prof Dr. Dr. Graumann Stellung bezog.
Unternehmensberater Attila Nagy benennt wesentliche "externe Komplexitätstreiber der Sozialwirtschaft". Dazu gehören, wenig überraschend, Digitalisierung und der demografische Wandel. Auch mit Grenzen der staatlichen Finanzierung haben sich die Wohlfahrtsverbände in unterschiedlichen Ausmaßen immer schon auseinandersetzen müssen.
Die Emanzipation der Kunden mit ihrer eindeutigen Personenzentrierung fordert aktuell das "Change Management" der sozialwirtschaftlichen Akteure ebenso heraus wie die immer lauter gestellte Frage nach der Wirksamkeit der personenbezogenen sozialen Dienstleistungen. Tradierte Sektorengrenzen verschwimmen, und die sogenannte "Ambulantisierung" ist kein Schlagwort mehr, sondern Gestaltungsaufgabe in nahezu allen diakonischen Handlungsfeldern.
Solche Einschätzungen ergänzt die Sozialethikerin Prof. Dr. Dr Sigrid Graumann. Sie verweist auf die Doppelrolle der diakonischen Unternehmen als zugleich Arbeitgeber und Anbieter sozialer Dienstleistungen wie ebenso Lobbyist und Kooperationspartner sozialstaatlicher Programme. Auch dies ist ein Beispiel für Komplexitäten.
Graumann diagnostiziert in diesem Zusammenhang auch eine "Krise der Care-Arbeit". "Krise" meint nicht nur Mangel, etwa Fachkräftemangel, sondern neu ist auch, dass sich das Selbstverständnis der helfenden Berufe verändert. Die Angehörigen der "Menschenrechtsprofession Soziale Arbeit" wollen ihren Klientinnen und Klienten im Zeitalter der Individualisierung "assistierte Freiheit" ermöglichen.
Auf der einen Seite, so beobachtet die Ethikerin, genießen kirchliche Träger noch immer einen Vertrauensvorschuss bei weiten Bevölkerungsteilen. Auf der anderen Seite nehme die gesellschaftliche Kritik an Kirche zu, gebe es starke Vertrauensverluste. Hier komme es darauf an, das "Eigene, Christliche, stark zu machen, bei aller gesellschaftlichen Kritik".
Die Professorin findet tragende und zukunftsweisende Leitlinien und Anhaltspunkte in Konzeptionen der Individualethik und der Sozialethik. Die Führungskräfte der Diakonie hinterfragen ihre "Geschäftsmodelle" und suchen neue Wege und Module. In beiden Zugriffen rückt die Frage nach dem "guten" oder "gelingenden" Leben in den Vordergrund – das aus biblisch-christlicher Sicht auch ein Leben im Fragment, mit Prozessen des Scheiterns ist.
Von hier aus gerät beim Theologischen Forum der "diakonische Auftrag" immer wieder systematisch und konkret in den Blick. Was unterscheidet Diakonie womöglich doch von säkularen Anbietern? Was macht das diakonische Profil aus – vor allem im Hinblick auf Menschen mit Unterstützungsbedarf, die selbst bestimmen wollen, was sie brauchen, um Teilhabe zu erlangen? Eine Antwort lautet: "Diakonie heißt, Menschen verstehen in allen Lebenslagen". Eine andere Antwort, Diakonie bedeute, aus Überzeugung innovativ zu sein, auch wenn es sich nicht sofort rechne.
Für Sigrid Graumann ist der menschenrechtliche Ansatz entscheidend: Es gelte, die UN-Behindertenrechtskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention unbedingt und überall praktisch wirksam werden zu lassen. Diakonisches Profil heiße demnach, niemanden verloren gehen zu lassen, niemanden rauszuwerfen. Dem mochte niemand widersprechen.
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