Wie sicher fühle ich mich, z.B. auf dem Weg nach Hause oder im Park? Sage ich meine Meinung öffentlich in sozialen Netzwerken? Nehme ich an Debatten im Internet teil? Laut einer Umfrage von UN Women UK aus 2021 empfinden neun von zehn Frauen weltweit öffentliche Orte als unsicher. Gründe dafür sind beispielsweise unangemessene Sprüche, sexualisierte Gewalt oder der Versuch, sexuelle Handlungen zu erzwingen. Auch der digitale Raum schafft Angriffsflächen für Gewalt und Hass. Daher stellt die UN Women Deutschland die Gewalt gegen Frauen und Mädchen im öffentlichen Leben – inklusive der digitalen Welt – in den Fokus der diesjährigen Orange The World Kampagne.
Als Hochschule mit einem sozialen Schwerpunkt arbeiten unsere Absolvent_innen sowohl mit Opfern als auch Tätern von Gewalt gegen Frauen im sozialarbeiterischen Kontext zusammen. Welche Maßnahmen im Opferschutz sinnvoll sind, ist jedoch nicht nur für Studierende der Sozialen Arbeit wichtig zu wissen. EvH-Kanzlerin Iris Litty spricht dazu bei der Podiumsdiskussion "Gewalt gegen Frauen - wirklich noch ein Thema in Deutschland" der Hochschule der Polizei Brandenburg. Sie möchte junge Polizist_innen in Ausbildung sensibilisieren und aufklären, denn sie können in diesen Fällen bereits im Rahmen der Anzeigenaufnahme in ihrer täglichen Arbeit einen wesentlichen Part durch eine objektive und ordnungsgemäße Fallbearbeitung leisten. Dadurch kann eine fortdauernde Traumatisierung der Opfer während des Ermittlungsverfahrens vermieden werden. Zugleich wird so eine gute Basis für das weitere Strafverfolgungsverfahren geschaffen, um Täter zur Verantwortung zu ziehen.
"In Zeiten von Personalknappheit und zunehmender Überlastung ist es wichtig, den Fokus bereits auf die Ausbildung zu legen. Im Rahmen der täglichen Arbeitsbelastung werden oftmals schnelle Entscheidungen gefordert und es gibt wenig Raum für zusätzliche Fortbildungen zu Themen.
Als Juristin und Betroffene von Stalking kann ich folgende Hinweise zum Opferschutz geben:
Sich an die Polizei zu wenden, ist der Versuch, seine Familie, seine Institution mit den Kolleg_innen und sich selbst zu schützen. Wichtig ist in dieser belastenden Situation, dass die Polizeibeamt_innen einschätzen können, dass in der Mehrzahl der Fälle die Betroffenen auch eine Hemmschwelle überwinden müssen, denn niemand möchte ein Opfer sein. Opfer zu sein, ist in Teilen der Gesellschaft sogar ein Schimpfwort; Opfer zu sein, heißt Hilfe zu benötigen, um sich vor einer Person zu schützen, die das Leben nachteilig in allen Bereichen verändert.
Es ist ein großer Schritt, eine Anzeige zu erstatten und dem geht oft bereits ein längeres Martyrium voraus. Zumindest diese drei Dinge sollten daher passieren:
Es ist einfach, Betroffenen von Straftaten zu helfen, indem man das Anliegen ernst nimmt, den Sachverhalt erfasst und über ladungsfähige Anschriften und Akteneinsicht aufklärt. Alleine damit wäre schon viel erreicht. Auch wenn man es gewohnt ist, seine Probleme selbst zu lösen: Bei Straftaten ist das nicht möglich, Betroffene sind auf Polizist_innen angewiesen. Danach kann es in zwei Richtungen gehen: Entweder kann die Bearbeitung durch die Polizei zu einer Erholung des Sicherheitsgefühl eines Opfers führen, oder eine abwehrende Haltung das Gefühl der Ohnmacht des Opfers verstärken. Daran wird deutlich, dass das Verhalten der Polizei eine Bedeutung hat, es stellt Weichen für den weiteren Verlauf."
Iris Litty betont: "Ich möchte, dass sich die jungen Polizeibeamt_innen ihrer Bedeutung in dem Verfahren bewusst sind. Wenn man sich länger mit dem Thema Opferschutz befasst, nimmt man eine gewisse Täterbezogenheit war. Ein einfaches Beispiel: Während Betroffene von Straftaten sich oftmals selbst einen Weg suchen müssen, um beispielsweise Therapien zu erhalten oder Kosten zu bezahlen, die aus der Verteidigung gegen die Straftaten des Täters erwachsen, bekommen die Täter neben einem staatlich finanzierten Pflichtverteidiger oftmals auch Beratungs- und Therapiekosten finanziert. Wir haben hier also ein Ungleichgewicht in der Täter-Opfer-Ausrichtung. Damit sich diese nicht in allen Bereichen fortsetzt, muss auch ebenso wichtig sein, dass unsere Sozialarbeiter_innen frühzeitig Handlungsmuster und deren Auswirkungen erkennen können.
Unsere Ausbildung ist hochklassig und bildet eine Vielzahl von Facetten ab, die unsere Studierenden und Absolvent_innen für den späteren Berufs- und Lebensweg mit sehr guter Methoden- und Fallkompetenz ausstattet, beispielsweise durch Seminare in Modulen wie Beratung, Supervision oder Recht. Sicherlich sind die Konstellationen so vielfältig, dass man nicht jeden Ernstfall vorbereiten kann. Sich grundsätzlich bewusst zu sein, dass Gewalt viele Gesichter hat und das Leben von Betroffenen massiv negativ verändert, hilft auch für die spätere Einschätzung in der sozialarbeiterischen Lebenswirklichkeit, die zugleich die gesellschaftliche Wirklichkeit ist. Wir sind uns sicher und auch dafür dankbar, dass unsere Studierenden und Absolvent_innen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Gewalt verhindert werden kann und Betroffenen geholfen wird. Jeder einzelne Fall zählt und dafür dient auch hier die Sensibilisierung.“