Tiergestützte Interventionen in der Sozialen Arbeit sind den meisten Fachkräften ein Begriff, der zunächst v.a. mit dem Einsatz von Hunden und Pferden in der Pädagogik und Therapie assoziiert wird. Aber auch Katzen, Lamas, Alpakas, Schafe, Ziegen, Schweine und Schnecken werden in einigen Feldern der Sozialen Arbeit eingesetzt. Weit weniger verbreitet ist die tiergestützte Arbeit mit Greifvögeln und Eulen – der naheliegende Grund: üblicherweise leben diese Wildtiere in der freien Natur und haben ausgesprochen wenig Interesse am Kontakt zu Menschen. Um auch diese Arbeit bekannter zu machen und den Studierenden ein Verständnis und ein Gefühl dafür zu vermitteln, welche Möglichkeiten in der Arbeit mit diesen Tieren liegen, habe ich im Wintersemester 2023/24 außergewöhnliche Gäste in meine Methoden-Seminare an der Hochschule eingeladen. Gemeinsam mit dem Falkner Michael Kasperski waren zu Gast: der Steinkauz Athos, der Waldkauz Porthos und der Habichtskauz Aramis, die Waldohreule Woody, die Turmfalken Ari und Bella, der Sakerfalke Kyra, der Rotschwanzbussard Vigo und der Harris Hawk Jesse.
In zwei Seminarsitzungen durften wir hautnah erleben, welche Faszination von der Begegnung mit diesen Tieren ausgeht. Die Studierenden hatten die Möglichkeit, selber ein Tier auf der Hand bzw. dem Lederhandschuh zu halten und in den Kontakt zu gehen. Dabei wurde allen auch ohne viele Worte schnell bewusst, dass der Respekt vor dem Tier und eine hundertprozentige Konzentration auf dessen ganz eigene Sprache nötig sind. Um diese Sprache zu verstehen und sowohl für den Menschen als auch für das Tier höchstmögliche Sicherheit in der Begegnung zu gewährleisten, war das Dolmetschen des Falkners natürlich unerlässlich. Das seltene Erlebnis, einen Greifvogel, einen Falken oder eine Eule auf der Hand zu halten, dem scheuen und respekteinflößenden Tier so nahe sein zu dürfen, war für die Studierenden ein besonderer und bewegender Moment. „Ganz großes Kino, das noch lange nachgewirkt hat.“, „Erst war ich skeptisch, was das soll, danach habe ich mich sogar erkundigt, wie man Falkner wird.“ – so lauteten einige Rückmeldungen in der späteren Reflexion der Seminareinheit.
Das Gelsenkirchener Team „Eulenbann und Federspiel“ trainiert seit 2012 die eigentlich sehr scheuen Vögel darin, Menschen gegenüber aufgeschlossen und tolerant zu sein, ohne dabei ihr eigentliches Wesen aufgeben zu müssen. Dies gelingt nur über ein tiefes Vertrauensverhältnis – dabei bleiben die Vögel auch in der Obhut eines Falkners wilde Tiere, die sich nicht zähmen lassen, sondern deren Respekt und Kooperationswille sich der Mensch ständig neu erarbeiten muss. Gerade deswegen ist es so beeindruckend, die Tiere ganz aus der Nähe anschauen und erleben zu dürfen, ihr Verhalten nach und nach deuten und verstehen zu lernen und vielleicht sogar ihr Vertrauen zu gewinnen. Dabei muss „weiter nichts Besonderes“ passieren, denn das Erlebnis selbst ist einzigartig genug – ein Ansatz, der auch als metaphorisches Modell in der Erlebnispädagogik bekannt ist. Das aktive Ausprobieren der Kontaktaufnahme und das Erleben einer ungewöhnlichen und im besten Sinne herausfordernden Begegnung mit den Tieren hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Und wenn – wie in unserem Seminar – der Steinkauz munter mit einem „plaudert“ oder der Greifvogel es womöglich sogar zulässt, vorsichtig und achtsam berührt zu werden, fühlt sich das fast wie ein Wunder an. Tatsächlich wird die Kunst der Falknerei, seit 2010 immaterielles Weltkulturerbe, von der International Association for Falconery als die Fähigkeit beschrieben, zu dem Vogel eine spirituelle Beziehung aufzubauen.
In seinem Vortrag über den Einsatz von Falke, Greifvogel und Eule im Rahmen einer tiergestützten Intervention erläutert Michael Kasperski die Besonderheiten von Mensch-Tier-Beziehungen und die ethischen Grundforderungen. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt neben der Gefährdungsanalyse auf den beiden Aspekten Tierwohl und Tierwürde, d.h. zu den Vögeln ist eine respektvolle Distanz zu wahren und der Eigenwert des Tiers ist zu achten. Wie in den Begegnungen praktisch erfahren, wird jetzt auch theoretisch untermauert, dass der Umgang mit den Vögeln das vertiefte Erlernen von Achtsamkeit und Präsenz fördert. Dies kann zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls, des Verantwortungsbewusstseins und zu einer Verbesserung des Wohlbefindens führen. Auch die Selbstwirksamkeit und die soziale und emotionale Intelligenz werden gefördert. So werden Greifvögel eingesetzt in der therapeutischen Arbeit mit Autisten, verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, Demenzkranken oder psychisch erkrankten Menschen. Michael Kasperski besucht beispielsweise mit einigen seiner Vögel einmal in der Woche den Nienhof in Gelsenkirchen, eine Einrichtung für erwachsene Menschen mit psychischen Problemen, und bietet dort eine Greifvogelgruppe an. Die Aufgabe des Falkners besteht darin, den Kontakt von Klient_in und Vogel zu ermöglichen und zu begleiten. In der Kommunikation mit dem Vogel entstehen hier nicht selten Mensch-Tier-Freundschaften der ganz besonderen Art, die für die Klient_innen von großer Bedeutung sind und oft über Jahre halten.
Für die Zukunft sind weitere Besuche des gefiederten Teams in meinen Seminaren geplant – ein Highlight, auf das sich Studierende auch in den nächsten Semestern freuen können.
Marlies Hendriks