Nach nunmehr sechs Jahren wurde an die langjährige Tradition des „Heilpädagogentages“ angeknüpft und dieser erstmals wieder ins Leben gerufen. Die letzten sechs Jahre waren im Fachbereich nicht allein durch inhaltliche Diskussionen neu geprägt und stets in Bewegung, sondern vor allem auch dadurch, dass sich aufgrund von Ruheständen innerhalb dieser Zeit zu großen Teilen ein neues Team gebildet hat.
Gemeinsam wurde der Heilpädagog_innentag geplant und vorbereitet, mit dem Ziel einerseits ehemalige Heilpädagogik-Studierende an die alte Wirkungsstätte zu locken, sich mit ehemaligen Kommiliton_innen und Praktiker_innen zu treffen und natürlich um sich über aktuelle Diskussionen und Überlegungen im Rahmen heilpädagogischer Arbeit auszutauschen.
Nach einführenden und begrüßenden Worten durch den Rektor Prof. Dr. Schäfer, die Dekanin Prof. Dr. Graumann, den Vertreter der Freunde und Förderer der EFH Herrn Puschner sowie den Moderator Prof. Dr. Thiemann, waren über 100 Heilpädagog_innen gespannt und gebannt auf die Hauptvorträge von Prof. Dr. Greving (Münster) und Prof. Dr. Ondracek (Bochum) zu folgenden Themen:
Anschließend verteilten sich die Teilnehmer_innen auf einen von fünf Workshops ihrer Wahl.
Kleine Eindrücke und Einblicke zu den Workshops sollen folgende Berichte vermitteln:
Dipl.-Heilpäd. Wiltried Michalczik:
„Kobi / Moor....alles kalter Kaffee? Ehemalige Absolventen der Diplom Studiengänge tauschen ihre Erfahrungen zum Thema Integration / Inklusion aus“
Der Workshop "Alumni: Kobi, moor- alles kalter Kaffee?" begann mit einer Skulptur, in der sich jeder Teilnehmende in die von ihm gefühlte Distanz zu den imaginär anwesenden Autoren der Heilpädagogik stellte.
Die 11 Reflektor_innen berichteten von ihrer unterschiedlichen beruflichen Praxis: Während die in der Jugendhilfe Tätigen durch das SGB VIII über einen Strauß an pädagogischen Interventionsmöglichkeiten verfügen, sind die in der Behindertenhilfe Berufenen immer noch abhängig von medizinischer Diagnostik.
Inklusion heißt, den Bedarf eines jeden individuell zu ermitteln, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und das KJHG (SGB VIII) für alle Kinder und Jugendlichen anzuwenden, ob behindert oder nicht. Auch das wird helfen, um auf diese separierende Begrifflichkeit in Zukunft verzichten zu können; vor einem Verschwinden unseres Berufsbildes muss sich dann keiner fürchten; vor Dumpinglöhnen, erzwungen durch ungelernte Inklusionskräfte, wird sich hingegen schon gefürchtet; hier hilft nur ein höherer Organisationsgrad der Heilpädagog_innen in Berufsverbänden und Gewerkschaften!
Fazit: für die Beziehungsgestaltung lohnt ein Blick in die alten Studier-Bücher, in die Klassiker! Zur Abwehr eines Inklusionssparmodells bedarf es mehr!
Dipl.-Heilpäd. Marie-Luise Hünerbein & Dipl.-Päd. Marlies Berger-Albers: "Frühe Förderung - Inklusion von Anfang an als Anspruch oder Wirklichkeit?"
Dieser Workshop hatte die Entwicklung von Inklusion im Rahmen von Frühförderung und Kindergarten zum Thema. Ausgangspunkt für die Diskussion waren die Erfahrungen der Workshop-Teilnehmenden aus der Praxis, hauptsächlich aus dem Bereich der Kindertagesstätten. Die Schilderungen zeigten sehr unterschiedliche Erfahrungen, die von bereits sehr gelungenen Aspekten inklusiver Arbeit bis hin zu ersten Schritten in der Auseinandersetzung mit dem Thema Integration/Inklusion reichten. Der Kindergarten, der bereits über 30 Jahre Erfahrungen in der gemeinsamen Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung verfügt, wurde insgesamt als sehr aufgeschlossen hinsichtlich einer Weiterentwicklung im Sinne einer inklusiven Arbeit erlebt. Darüber hinaus betonten die Teilnehmenden, dass der Kindergarten als ein Ort mit ausgesprochen großer Vielfalt bezeichnet werden kann, da in Deutschland nahezu alle Kinder – wenn auch unterschiedlich lange – den Kindergarten besuchen. Sie berichteten von einer großen Bereitschaft, alle Kinder des Umfeldes aufzunehmen, von dem Bemühen, Angebote so zu strukturieren, dass alle Kinder teilnehmen können und von einer großen Offenheit zu Kooperation und Vernetzung mit anderen Institutionen, um inklusive Entwicklungen zu stärken. Gleichzeitig wurde aber auch von sehr schwierigen Bedingungen berichtet, die bisher eine Auseinandersetzung mit dem Thema nahezu unmöglich machten. Lange wurden die unterschiedlichen Strukturen in NRW, hier insbesondere die unterschiedlichen Bedingungen im Rheinland und in Westfalen-Lippe diskutiert, die inklusive Entwicklungen erschweren oder eher ebnen. Die Teilnehmenden äußerten, dass in Einrichtungen, die sich bereits langjährig mit integrativen Erfahrungen auseinandersetzen, eine Haltung wahrnehmbar sei, die sie als förderlich auch für inklusive Arbeit erlebten. Insgesamt wurde eine inklusive Haltung als grundlegend für die gesamte weitere Entwicklung angesehen. In diesem Zusammenhang wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, Inklusion stärker in den verschiedenen Ausbildungsgängen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kindertageseinrichtungen zu verankern, daneben wurde auch der Wunsch nach mehr Austausch und Weiterbildungsmöglichkeiten zum Thema Inklusion sehr deutlich.
Prof. Dr. Stefan Schache:
„Inklusion erleben: metaphorische Bewegungssituationen erfahren“
In dem von Prof. Dr. Stefan Schache angebotenen Workshop zu "Inklusion erleben. metaphorische Bewegungssituationen" entstand nach einer kurzen Präsentation eine spannende Diskussion, in der sich individuelle Berufserfahrungen aus ganz unterschiedlichen Praxisfeldern im weiten Feld der Inklusion positionierten, so dass der zweite Teil des Workshops - über Bewegung sich der Inklusion nähern - gar nicht mehr zum Zuge kam. Es wurde aber gerade hierdurch wieder deutlich, dass Inklusion mehr gelebt denn konzeptionell gegriffen werden kann.
Prof. Dr. Michel Wendler: „Zum Pardigmenwechsel einer inklusionsorientierten Diagnostik“
In dem Workshop "Zum Paradigmenwechsel einer inklusionsorientierten Diagnostik" von Michael Wendler wurde zur Diskussion gestellt, ob vor dem Leitbild Inklusion sich jetzt die im Entwicklungsplan Inklusion (LIS) hervorgerufene Frage stellt, mit welchem Instrumentarium das individuelle Erfordernis unterstützender Pädagogik, sonderpädagogischer Förderung und individueller Hilfen zu ermitteln ist, um das so genannte "Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma" zu überwinden. Unter dem Leitbild: "Alle Kinder haben irgendwo einen spezifischen Förderanspruch" wurde unter dem Inklusionsaspekt im Workshop geprüft, ob die bisherige Kategorisierung in die unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderbedarfe erforderlich und fachlich haltbar ist (vgl. LIS 2010, 16). Übereinstimmung wurde dahingehend erzielt, dass Kinder nicht länger als gescheitert gelten sollen, ehe sie als sog. "Inklusionskinder" zusätzliche sonderpädagogische Unterstützung bekommen (vgl. Schuhmann 2014).
Prof. Dr. Kathrin Römisch: „Risiko Inklusion? Inklusionsverlierer verhindern!“
Ausgangspunkt dieses Workshops war die Kritik an der aktuellen Praxis, die die Gefahr birgt, bestimmte Personengruppe von Inklusionsprozessen auszuschließen, wie zum Beispiel Menschen mit sehr schweren und mehrfachen Beeinträchtigungen. Für diese Personengruppe gibt es bisher nur wenige gute Konzepte, sodass es eine Tendenz gibt, diese weiterhin in Sondereinrichtungen zu verwahren und sie vom Inklusionsprozess auszuschließen. Die UN-Behindertenrechtskonvention gilt für alle Menschen, egal wie stark sie beeinträchtigt sind, sodass auch für diese Zielgruppe geeignete, inklusive, sozialraumorientierte Konzepte entwickelt werden müssen. Im Workshop wurden nach einem Input verschiedene Aspekte des Themas diskutiert, zum Beispiel die Verantwortung jedes einzelnen, den Prozess gelingen zu lassen.
Um neben den Vorträgen und Workshops das Treffen und den eigenen Bedarfen nach Gesprächen mit Heilpädagog_innen nachzukommen, waren bewusste Pausen eingeplant, in denen die Inhalte der Referent_innen oftmals weiter gedacht und angeregt besprochen wurden.
Letztlich wurden im Abschlussplenum die Ergebnisse aus den Workshops vorgestellt und mit den Beteiligten umfassend diskutiert. Eine Podiumsdiskussion mit der Referent_innen rundete die Veranstaltung ab, in der zwar keine konkrete Antwort auf die Ausgangsfragestellung gegeben werden konnte, viele aber neue, anregende Ideen und Gedanken mit in ihre Tätigkeitsfelder nehmen konnten.
Alles in allem war der Heilpädagogentag sehr erfolgreich und der Wunsch nach einer baldigen Wiederholung wurde noch am Tag der Veranstaltung gestellt.