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"Heimkinderzeit": Vortrag stößt auf Interessse

Auf Einladung des Forums Disability Studies, das in diesem Semester von Prof. Dr. Birgit Schuhmacher (Foto, l.) und Gudrun Kellermann (Foto, r.) organisiert wird, stellte jetzt Prof. Dr. Annerose Siebert (Foto, Mitte) an der Evangelischen Hochschule RWL ihre Studie "Heimkinderzeit" vor. Eingeleitet wurde der Vortrag durch eine kurze Begrüßungsrede von EvH-Rektorin Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann, die auf die Aktualität des Themas hinwies.

Etwa 40 Zuhörer_innen aus der Hochschule, aber auch externe Besucher_innen, interessierten sich für die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt, das erstmals die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung, die im Zeitraum von 1949 bis 1975 in Heimen der Caritas lebten, zu Wort kommen ließ.

Ein Teil des Vortrags in leichter Sprache

Annerose Siebert, die an der Hochschule Ravensburg-Weingarten Sozialarbeitswissenschaft lehrt und bereits die Nutzung von persönlichen Budgets durch Menschen mit Behinderung erforscht hat, hielt einen Teil des Vortrags in leichter Sprache – auch um zu zeigen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse für Menschen mit Lernschwierigkeiten zugänglich gemacht werden können. Die Studienergebnisse wurden in leichter und schwerer Sprache beim Lambertus-Verlag veröffentlicht.

Die Studie wurde vom Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. in Auftrag gegeben und umfasst neben einer Vorstudie einen qualitativen Teil, in dem 45 Personen in 36 Interviews ihre Erinnerungen aus 20 verschiedenen Einrichtungen berichten. Darauf aufbauend wurden ein Fragebogen konzipiert und 339 standardisierte persönlich mündliche Befragungen in 25 verschiedenen Einrichtungen durchgeführt.

Keine Angaben über Zahl der Kinder

Dies lässt eine Quantifizierung der Erfahrungen zu, wenn auch nicht von verallgemeinerbaren Ergebnissen gesprochen werden kann. Es lassen sich keine seriösen Angaben über die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung, die im gewählten Zeitraum in Einrichtungen der Caritas lebten, machen.

Schätzungen gehen von 30 000 bis 50 000 Kindern und Jugendlichen aus. Ein auffälliges Ergebnis ist, dass etwa 10 Prozent der befragten Personen sagen, dass sie nicht wegen einer Behinderung in die Einrichtung gekommen sind – also von der Annahme einer Fehlplatzierung ausgegangen werden muss. Hier waren vermutlich ungenaue Diagnosen leitend.

Harte Arbeit, drakonische Strafen

Die Befragung zeigte, dass 30 bis 50 Kinder in einer Wohngruppe, harte Arbeit, strenge Vorschriften und drakonische Strafen wie Schläge und Nahrungsentzug die Regel waren. 70 Prozent der ehemaligen Heimkinder berichten von körperlicher, 60 Prozent von seelischer Gewalt und 30 Prozent von sexueller Gewalt, wobei diese meist durch die Mitarbeitenden der Einrichtungen verübt wurde, aber auch durch andere Kinder und Jugendliche.

In der Diskussion zum Vortrag wurde deutlich, dass die Befragten, die heute noch in den Einrichtungen leben, mit ihrer Lebenssituation aber durchaus zufrieden sind. Die Lebensbedingungen in den Einrichtungen haben sich inzwischen zwar erheblich verbessert, dennoch sind die vorhandenen Machtstrukturen nach wie vor kritisch zu beobachten.

Caritas hat Forschung unterstützt

Die Caritas als Träger der Einrichtungen und gleichzeitig Auftraggeberin habe die Forschungsarbeiten unterstützt. Wichtig ist nun, das Wissen um die Anerkennung erlittener Schäden weiter bekannt zu machen: Nur noch bis zum 21. Dezember 2019 sind Anträge auf Entschädigung bei der Stiftung Anerkennung und Hilfe möglich.

Die Beratungsstellen der Stiftung befinden sich in den Regionen Münster und Köln (http://www.stiftung-anerkennung-und-hilfe.de).

 

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