Tagung zur Behindertenrechtskonvention:
Wie die Inklusion in Bildung und Forschung gelingen kann
Um an den zehnten Jahrestag der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) zu erinnern, kamen am 2. April 2019 über 200 Expertinnen und Experten zu einer Tagung im Veranstaltungszentrum der Ruhr-Universität Bochum (RUB) zusammen. Sie diskutierten über zentrale Fragen der Behindertenpolitik in Deutschland: Wie sieht es heute mit der politischen Partizipation und der Selbstbestimmung im Leben behinderter Menschen in Deutschland aus?
Referentinnen und Referenten waren unter anderem Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen, Dr. Adolf Ratzka, Leiter des Stockholmer Institut for Independent Living, und Prof. Dr. Theresia Degener, Professorin für Recht und Disability Studies an der Evangelischen Hochschule Rheinland Westfalen Lippe. In den Vorträgen nahmen sie vor allem in den Blick, was sich seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland am 26. März 2009 getan hat.
Degener, die bis 2018 den Vorsitz des UN-Ausschusses zur Behindertenrechtskonvention in Genf innehatte, übernahm auch die wissenschaftliche Leitung der Veranstaltung - gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfram Cremer, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Bildungsrecht und Bildungsforschung (IFBB) sowie Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der RUB. Prof. Dr. Christian Walter-Klose vertrat die Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum) im Leitungsteam.
"Es wird niemanden verwundern, dass die Initiative zu dieser Veranstaltung von der Evangelischen Hochschule, insbesondere vom Bochumer Zentrum für Disability Studies und damit von Theresia Degener ausgegangen ist", sagte Cremer gleich zur Begrüßung. Auch EvH-Rektorin Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann würdigte Theresia Degeners langjähriges Engagement für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. "Der Begriff Inklusion ist für mich immer mit ihrem Namen verbunden", so Graumann, die Degener als "Freundin, Kollegin und Rektorin der EvH zum Dank verpflichtet" sei. "Nur eine inklusive Gesellschaft wird eine bessere Gesellschaft sein", unterstrich sie, "für alle von uns."
„Nach zehn Jahren gilt es nicht, das Thema Inklusion als ermüdend abzuhaken, sondern die Konvention kritisch zu reflektieren und Meilensteine für die Zukunft zu setzen“, betonte Theresia Degener selbst in ihrem Vortrag. Deutschland sei in manchen Punkten ein Vorbild für andere Länder - und in einigen Themenfeldern das Schlusslicht. So etwa beim Recht auf inklusive Bildung. "Eine so hohe Exklusionsrate wie in Deutschland gibt es selten", monierte die EvH-Professorin.
Auch kam sie auf das Menschenrechtsmodell von Behinderung zu sprechen, das seinen stärksten Ausdruck in Artikel 12 der UN BRK finde. Degener: "Menschen dürfen nicht auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden." Und: "Menschenrechte setzen Nicht-Behinderung nicht voraus", konkretisierte sie, was die Essenz des Menschenrechtsmodells ausmache. Allen behinderten Menschen seien ihre Rechte zu gewähren.
Auch, wenn heute mehr behinderte Studierende als noch vor zehn Jahren eingeschrieben seien, sei das Modell in deutschen Bildungsreinrichtungen noch nicht richtig verstanden worden und angekommen. Menschenrechte würden "uns Menschen universal und von Geburt an verliehen", schloss Degener. Dennoch habe es zahlreiche Epochen gegeben, in denen von diesem Versprechen abgewichen worden sei. "Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit gekommen, dass Menschen mit Behinderung nicht zurückgelassen werden?", fragte sie.
Dr. Adolf Ratzka plädierte dafür, behinderte Menschen nicht überbeschützen, bevormunden und fremdbestimmen zu wollen. "Wir fordern das gleiche Spektrum an Wahlmöglichkeiten, mit dem gleichen Grad an Freiheit, den unsere nicht behinderten Freunde und Nachbarn selbstverständlich finden", betonte der Leiter des Stockholmer Institut for Independent Living. In einem ergreifenden Beitrag berichtete er aus seinem eigenen Leben und von seinem Bildungsweg, auf dem er durch persönliche Assistenz zu Selbstbestimmung und Inklusion gefunden habe.
Leider, so Ratzka, gebe es bis heute kaum Länder, die persönliche Assistenz in zufriedenstellendem Maß zur Verfügung stellten. "Es ist noch ein weiter Weg bis an den Punkt, an dem niemand mehr zum Pflegefall oder zu einem Bürger dritter Klasse degradiert wird", gab er zu bedenken. Neben den Vorträgen tauschten sich die Tagungsbesucherinnen und -besucher in vier Fachforen zur Inklusion im Bildungs- und Forschungssektor aus:
- Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Leitung: Dr. Sven Sauter, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
- Studium und Behinderung, Leitung: Michaela Kusal, Akademisches Förderungswerk Bochum
- Inklusive Forschung, Leitung: Prof. Dr. Monika Schröttle, Technische Universität Dortmund
- Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem, Leitung: Dr. Anja Gerlmaier, Universität Duisburg-Essen
Darüber hinaus beleuchtete eine Abschlussdiskussion Erfolge und Herausforderungen der Inklusion - moderiert von Andrea Kaus (RUB) und Christian Walter-Klose (hsg Bochum).
Die Evangelische Hochschule Rheinland Westfalen Lippe, die RUB und die hsg Bochum veranstalteten die Tagung gemeinsam. Das IFBB koordinierte die Veranstaltung. Darüber hinaus waren das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS), das RUB-Dezernat für Organisations- und Personalentwicklung und die Professional School of Education involviert. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW und der Europäische Sozialfonds förderten die Veranstaltung.