Jule Weber (*1993) lebt und arbeitet in Bochum und gehört zu den führenden Stimmen der deutschsprachigen Spoken-Word-Szene. Seit 2009 tourt sie mit ihren Texten im gesamten deutschsprachigen Raum und gewann 2012 sowohl die hessischen, als auch die deutschsprachigen Poetry Slam-Meisterschaften in der Kategorie U20, 2019 wurde sie mit dem Tullyaward als beste deutschsprachige Poetin ausgezeichnet.
Am Mittwoch moderierte sie den EvH-Science Slam - https://www.evh-bochum.de/artikel/evh-science-slam-spannend-digital-und-barrierefrei.html - und verrät Spannendes über sich und ihre Arbeit im Interview:
Was muss man/frau können, um als Poetry Slammer_in erfolgreich zu sein?
JW: Wie ein Text am Abend beim Publikum ankommt – das hängt eher von Zufall oder Glück ab. Nicht zu gewinnen, heißt nicht, dass ein Text schlecht sein muss. Es kann passieren, dass man über Monate jede Zeile, jeden Reim ausgefeilt hat. Und dann liest man das Ganze vor, und die kurze lustige Geschichte mit Wortspielen über Käse eines anderen kommt besser an.
Welche Tipps kannst Du angehenden Poetry Slammer_innen geben?
JW: Authentisch sein. Die besten Texte sind die, bei denen Du nicht vorher überlegst: Was will das Publikum hören? Besser ist, die Leute spüren: Sie hat das gefühlt, als sie das geschrieben hat.
Und um in den Schreibfluss zu kommen?
JW: Einfach machen. Wenn ich vor dem leeren Blatt sitze und nicht weiß, wo ich anfangen soll – einfach drauflos schreiben. Nachkorrigieren und umstellen geht immer noch. Genauso bei der Performance: Nicht groß nachdenken, wie stelle ich mich hin, was mache ich mit den Händen? Einfach machen.
Wie läuft Dein Schaffensprozess ab?
JW: Ich selbst arbeite viel im Kopf, greife zwischendurch aber auch zu Zettel und Stift, wenn mir was einfällt. Schreiben ist nicht immer eine Sache des Dürfens. Wenn ich das beruflich tue, muss ich schreiben, habe Abgabe-Termine, Vorgaben. In der Szene gibt es eine inoffizielle Vereinbarung, dass ein Text nicht zweimal auf einer Bühne gelesen wird. Das heißt, der ist dann verbraucht. Manchmal wünschen sich die Leute auch bestimmte Themen oder einen bestimmten Stil.
Fallen Dir solche Vorgaben schwer?
JW: Ich habe ja trotzdem noch meine Freiheit, weiß, die wollen meine Gedanken und Gefühle hören. Ich darf zu jedem Thema der Welt, in jedem Sprachstil, mit meinen Worten schreiben. Als ich mit 19 anfing, das hauptberuflich, mein Hobby zum Beruf zu machen, hatte ich noch Nebenjobs. Die brauche ich jetzt nicht mehr. Mit meiner Kunst Geld zu verdienen, die Miete zahlen zu können, ist was Gutes.
Was wäre ein solcher Auftrag?
JW: Auf einem Bildungskongress fünf Minuten lang ein spoken word zum Thema Bildung zu geben, zum Beispiel. Als Ausgleich trete ich manchmal noch in Kneipen auf, für Fahrtkosten und drei Freigetränke, um die Verbundenheit nicht zu verlieren. Da ich aber mehr ernstere, lyrische Texte schreibe, habe ich es vor Kneipenpublikum oft schwerer als im Schauspielhaus, wo die Leute schnell Zugang zu meinem Text finden. Herum experimentieren, mich als Künstlerin neu erschaffen, kann ich nur dann, wenn ich frei bin, also keinen Auftraggeber habe.
Könntest Du auch in anderen Sprachen slammen?
JW: Eher nicht. Sicher könnte ich einen Text schreiben und vorlesen, würde aber die Untertöne, Wortspielereien und Doppeldeutigkeiten nicht so hinkriegen wie in meiner Muttersprache.
Wieviele Poetry Slammer_innen können bundesweit von ihrer Kunst leben?
JW: Ich schätze mal, so 200. Aber die leben auch nicht nur vom Poetry Slam, sondern machen noch anderes drum herum, Moderationen, Bücher schreiben, Solo-Texte, Veranstaltungen.
Muss man/frau extroviert sein, um Poetry Slammer_in zu werden?
JW: Nein, auch introvertierte Personen können auf die Bühne gehen oder sich eine extrovertierte Bühnen-Persona erschaffen, die von ihrer privaten Persönlichkeit getrennt ist.
Welche Regeln gelten für einen Poetry Slam?
JW: Die Texte müssen selbst geschrieben sein, es steht das gesprochene Wort im Fokus – nur Zitate dürfen gesungen werden. Requisiten oder Verkleidungen sind nicht erlaubt. Es gibt ein Zeitlimit von fünf bis sieben Minuten. Da ich lyrische Texte schreibe, sind das bei mir immer so 600 bis 800 Wörter, bei anderen 1000.
Warst Du in der Schule gut in Deutsch?
JW: Ja, aber in Komma-Setzung bin ich immer noch nicht sicher. Und es gibt Kolleg_innen, die sind trotz einer schweren Lese-Rechtschreib-Schwäche als Slammer_innen erfolgreich.
Wann hast Du Deine erste Lyrik geschrieben?
JW: In der Grundschule, ins Poesie-Album einer Mitschülerin. Meinen ersten richtigen Auftritt hatte ich mit grade 16.
Worauf bist Du stolz in Deiner Vita?
JW: Ich bin stolz, meinen privaten und beruflichen Weg so gut gefunden zu haben – obwohl ich nicht gerade den Standard-Lebenslauf habe. Als ich mit 16 schwanger wurde, meine Tochter wird bald elf, habe ich die Schule geschmissen, bin später nochmal hingegangen. Ich habe also, da ich in der zehnten Klasse auf dem Gymnasium war, quasi die mittlere Reife, aber keine Berufsausbildung und keinen offiziellen Schulabschluss. Obwohl das ziemlich schief aussieht und auch ein harter Prozess war, bin ich stolz, alles so gut geschafft und mich frei gemacht zu haben von den allgemeinen gesellschaftlichen Erwartungen – ohne komplette Aussteigerin zu sein.
Foto: Jule Weber/Marvin Ruppert; Interview: Julia Gottschick