Der Fall erschüttert das Land: ein achtjähriges Mädchen wurde knapp sieben Jahre lang von ihrer Mutter und den Großeltern in einem Haus im Sauerland festgehalten. EvH Prof. Dr. Dirk Nüsken hat in einem Radiointerview nun Stellung zu der Frage bezogen, ob es ggf. Versäumnisse seitens der Behörden gegeben haben kann und was sich ändern muss.
Nüsken ordnet diesen Fall als einen mit besonders krimineller Energie seitens der Mutter und der Großeltern ein. Die Frage „Warum hat das Jugendamt nicht eher reagiert?“, betrifft natürlich zunächst alle Institutionen die für den Schutz von Menschen zu sorgen haben – das ist allerdings eine moralische und ethische, zugleich natürlich nicht unwichtige Frage, so Nüsken eingangs.
Hier ist es allerdings notwendig, genau hinzuschauen: über welche Informationen, mit welcher Aussagekraft verfügte das Jugendamt zu welchem Zeitpunkt? Denn: nach den vorliegenden Erkenntnissen ist es aktiv geworden, hat mehrfach bei den Großeltern nach dem Verbleib von Mutter und Kind gefragt und die Aussage erhalten, sie seien in Italien. Gleichzeitig sprach das Ehepaar ein Betretungsverbot für die Wohnung aus. Anlass, eine Hausdurchsuchung gerichtlich durchzusetzen, gab es erst im Sommer - diese erfolgte dann im September.
Pauschal und in aller Vorsicht betrachtet könne man das Vorgehen nicht als strukturelles Problem der Behörde einordnen. Ob und welche Infos das Jugendamt hatte und ob das Handeln ausreichend war muss nun die Staatsanwaltschaft klären. Nüsken ist sich aber sicher, dass das Jugendamt selber eine gründliche interne Aufklärung zur kritischen Aufarbeitung betreiben wird. Für Fälle, in denen Kinder zu Schaden kamen und für „fehlgelaufene Fälle“ aus denen für die Zukunft gelernt werden kann, hat der EvH-Professor, selber Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH), zusammen mit dem Jugendamt Bochum die sogenannte Fallwerkstatt entwickelt.
Das seit Mai 2021 in NRW gültige Kinderschutzgesetz stärkt diesen Ansatz, z.B. durch die Schaffung einer Stelle für Qualitätssicherung. Nüsken erklärt, dass dort eine Institution im Aufbau sei, an welche die sich Jugendämter in besonders komplexen und riskanten Fällen wenden können, wo sie Expertise heranziehen oder Qualitätsberatung in Anspruch nehmen können, um genau solche Fälle bearbeiten zu können.
Das Interview ist beim WDR Echo des Tages vom 7.11.22 ab Minute 14:05 zu hören.