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"Krise der Demokratie": Prof. Dr. Paul Nolte hält Vortrag

Vortrag von Prof. Dr. Paul Nolte „Krise der Demokratie?

Warum wir besorgt sein müssen, warum wir Vertrauen haben sollten, was wir tun können


Am Mittwoch, 29. Mai 2019, fand in der evangelischen Stadtakademie Bochum der zweite Vortrag der Reihe „Krise der Demokratie“ statt, welche im Sommersemester gemeinsam mit der EvH und dem Transfernetzwerk s_inn gestaltet wird. Zum Vortrag von Prof. Dr. Paul Nolte, der seit 2005 Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin lehrt und seit 2009 Präsident der Ev. Akademie zu Berlin ist, kamen rund 70 Besucher_innen. Ziel von Paul Nolte war es, die populäre Annahme einer Gefährdung der Demokratie aus einer historischen Perspektive differenzierter einzuordnen. Anstatt von einer Krise müsse man eher, so die zentrale These des Vortrags, von einer zwar „raueren“, aber nicht gefährdeten oder „defizitären“ Demokratie ausgehen.

Die Abgrenzung von einfachen Krisendiagnosen zeigte sich bereits, als Paul Nolte zu Beginn seines Vortrags auf die Europawahlen zu sprechen kam. Angesichts der Erfolge rechtspopulistischer Parteien sei eine Sorge zwar verständlich. Die höhere Wahlbeteiligung und der große Erfolg der Grünen als neuer „zentristischer Volkspartei“ könnten allerdings kaum im Sinne einer Krise der Demokratie interpretiert werden.

Zudem seien auch das YouTube-Video von Rezo oder der erneute Einzug der Satirepartei Martin Sonneborns ins EU-Parlament als Ausdruck einer „neuen Normalität der Demokratie“ zu sehen – und nicht, wie von einigen CDU-Politiker_innen, als Zeichen einer problematischen Erosion des ‚richtigen‘ demokratischen Austauschs. In solch negativen Deutungen spiegele sich der Maßstab eines „glatten Idealzustands“ wider, dem die Demokratie aber nur in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum nach 1945 entsprochen habe.

Damit leitete Paul Nolte zu seinem historischen Überblick weiter, in dem er die Entwicklung von der demokratischen Bewegung in den 1830er-Jahren bis in die Gegenwart anschaulich nachzeichnete. Den Fokus richtete er dabei auf die „soziale Praxis der Demokratie“ und gerade auch auf Provokationen und Regelverletzungen seitens der Bürger_innen als relativ kontinuierliches „irritierendes Element“. 

Als Beispiel führte Paul Nolte etwa die sog. „Katzenmusik“ an, mit der im 19. Jahrhundert – ähnlich wie in aktuellen Protesten – der Wille des Volkes gegen den Souverän in Stellung gebracht wurde. Die Entwicklung der Demokratie entspreche, so Nolte, keinem linearen Prozess „vom Trampelpfad über die Autobahn bis zu einem glücklichen Ende“. Vielmehr repräsentierten Spannungen und Widersprüche eher die Normalität als die Ausnahme.

Paul Nolte betonte, das gegenwärtige Erstarken von „Mustern der Zornpolitik“ nicht beschönigen oder verharmlosen zu wollen. Durch die historische Einordnung könne aber deutlich werden, dass einiges von dem, was derzeit als neue Herausforderung oder Gefahr gedeutet werde, so grundsätzlich neu nicht sei.

Zudem lasse sich auch die Idealisierung der „glatten“ Phase von der Verabschiedung des Grundgesetzes bis zu Beginn der 1970er-Jahre relativieren. Die Orientierung an einem breiten Konsens in dieser Zeit habe schließlich, so Nolte, auch einen Verlust von Innovationsfähigkeit der Demokratie bedeutet.

Nach dem Vortrag entstand eine intensivere und zum Teil auch kontroverse Diskussion. So wurde das Aufzeigen von Kontinuitätslinien einerseits positiv aufgenommen. Hierdurch vermeide Paul Nolte, wie ein Besucher anmerkte, neue Formen der Meinungsäußerung im Internet vorschnell als defizitär oder sogar demokratiegefährdend abzuwerten.

Andererseits wurde mit Blick auf aktuelle politische Proteste auch der Bedarf einer stärkeren Differenzierung zwischen rechtspopulistischen und klimapolitisch motivierten Bewegungen betont. Es müsse, so ein weiterer Besucher, deutlicher werden, dass die Teilnehmenden der Fridays for Future-Demonstrationen eine konsequentere Politik im Rahmen des bestehenden Systems einforderten, während Rechtspopulisten von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machten, um sich letztlich gegen die parlamentarische Demokratie zu wenden.    
 

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