Projektbilanz zeigt: Thema Pflege wird personalpolitisch noch immer unterschätzt
Beruf und Pflege zusammenzubringen, ist für viele Menschen eine Herausforderung. Es fehlt an Zeit und an Kraft, beide Lebensbereiche miteinander zu kombinieren. Doch können Unternehmen betroffene Beschäftigte gezielt dabei unterstützen - und profitieren davon. Wie genau, hat jetzt eine Veranstaltung an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe (EvH RWL) in Bochum beleuchtet.
Unter dem Titel „Pflege und Beruf (un-)vereinbar? Herausforderungen und Lösungen für Arbeitgebende und Beschäftigte“ wurden am 24. Mai zunächst die Problematik und dann praxisorientierte Lösungsansätze aufgezeigt. „In NRW gibt es derzeit eine Million pflegende Angehörige“, umriss Georg Oberkötter vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter NRW (MGEPA) die Situation in seinem Impulsvortrag. „Eine Million Menschen, die in der Masse keine Lobby haben“.
Letztlich seien dies Einzelschicksale hinter verschlossenen Türen. „Doch wer sieht, wie es hinter diesen Türen aussieht – jeden Tag, monatelang, jahrelang?“, so Oberkötter. Im Grunde handle es sich um Einzelkämpfe gegen Windmühlen. „Pflegende Angehörige sagen oft: ,Das mit der Pflege habe ich ja noch hingekriegt, aber der Papierkram!`“
Grundlage der Veranstaltung waren die Forschungsergebnisse des seit drei Jahren bestehenden Projekts „Unternehmensnetz Pflege und Beruf", das an EvH RWL angesiedelt ist und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Die Leitung hat Prof. Dr. Irene Gerlach von der Hochschule. Das Forscher-Team, das das „Unternehmensnetz Pflege und Beruf" im mittleren Ruhrgebiet aufgebaut und wissenschaftlich begleitet hat, präsentierte in seiner Bilanz erstmals Ergebnisse aus dem Projekt.
Wie Ann Kristin Schneider und Christian Pälmke von der EvH RWL betonten, werde die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf personalpolitisch noch immer unterschätzt. Viele Unternehmen seien zwar der Meinung, dass das ein wichtiges Thema ist, so Pälmke, „sagen dann aber: ,Bei uns spielt das keine Rolle´“. Dabei haben Studien gezeigt, dass 60 Prozent aller Pflegenden erwerbstätig – und sechs bis zehn Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland in Pflege und Betreuung involviert sind. Zahlen, die Prof. Dr. Monika Reichert von der Technischen Universität Dortmund im Gepäck hatte.
Unter dem Titel „Doppelter Einsatz“ zeigte sie auf, unter welchen Belastungsfaktoren pflegende Angehörige zu leiden haben: Zeitdruck, häufige Anspannung und Erschöpfung – die mit verminderter Konzentrationsfähigkeit einhergeht - sowie der hohe organisatorische Aufwand der Pflege. „Für viele ist nicht absehbar, wie lange die Situation andauert,“ so Reichert. „Das kann einige Wochen sein oder auch viele Jahre.“ Für diese Menschen sei die Pflege so etwas wie ein Halbtagsjob. Der Vergleich zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden zeigte: Ersteren gelingt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf im Schnitt etwas schlechter als den übrigen Beschäftigten.
Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Vereinbarkeit als Problem oder als Chance?" trafen schließlich die verschiedenen Blickwinkel von Arbeitgebenden, öffentlicher Verwaltung, Wissenschaft sowie Pflegedienstleistern aufeinander. Wie dabei klar wurde, herrscht mit Blick auf das bisherige Angebot betrieblicher Maßnahmen besonderer Handlungsbedarf – vor allem im Bereich der Informations- und Kommunikationsarbeit der Unternehmen und öffentlichen Arbeitgebenden. Dabei müssen Maßnahmen nicht viel kosten. Mitunter sind es schon kleine Stellschrauben, die zu einer deutlichen Verbesserung der Lage beitragen können.
Austausch und Kooperation sind das A und O: Netzwerke bieten wichtigen Erfahrungsaustausch, nötige Hilfestellung sowie feste Strukturen. Von Seiten des Arbeitgebers seien Angebote wie flexible Arbeitszeiten und das Homeoffice-Modell hilfreich. Wie Prof. Christel Bienstein, Vorsitzende des Beirats für Vereinbarkeit von Pflege und Beruf beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) herausstrich, wäre eine Bündelung von Ressourcen und Informationen wünschenswert, eine zentrale Rufnummer etwa, „die die zentralen Themen koordiniert. Wie die 112 der Feuerwehr“.
Bei der Vielfalt der Akteure klare Zuständigkeiten benennen, die Befindlichkeiten von Politik, Verwaltung und Unternehmen koordinieren und „zu einem transparenten Paket zusammenschnüren, das für alle leicht abzuholen ist“: Es ist noch viel zu tun – so könnte das Resultat der Veranstaltung lauten. „Projekt-Bilanz heißt hier: Ab jetzt geht es wirklich los“, resümierte Prof. Dr. Irene Gerlach in ihrem Abschlusswort.
www.unternehmensnetz-pflege-beruf.de