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Prof. Dr. Uwe Becker an der Hochschule in Budapest
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Prof. Dr. Uwe Becker an der Hochschule in Budapest

EvH-Prof. Dr. Uwe Becker war vom 7. bis 12. Mai 2019 mit Erasmus+ an der reformierten Hochschule in Budapest und Nagykörös - im Rahmen der Kooperation mit der Kàroli Gàspàr University of the Reformed Church. Die insgesamt dicht getaktete Zeit war geprägt von einer gastfreundschaftlichen und achtsamen Atmosphäre. Der Auftakt einer achtstündigen Sightseeing-Tour, die der Soziologe und - bezüglich der Stadtgeschichte - kompetent Auskunft gebende Prof. Dr. Péter Török vorbereitet hatte, vermittelte Becker detaillierte Kenntnisse beispielsweise über die jüdische Geschichte Ungarns und der Stadt Budapest.

Die folgenden Vorträge waren an jeweils verschiedenen Orten angesiedelt, nur die letzten beiden hielt der EvH-Dozent am Standort der Hochschule in Nagykörös. Am 9. Mai mittags in Budapest fanden sich etwa 20 Studierende zum Vortrag mit dem Thema "The conditions of social work in Germany" ein, was angesichts von etwa 90 Studierenden der Sozialen Arbeit an diesem Standort eine hohe Beteiligungsquote war. Die Vorträge mussten allesamt übersetzt werden, da nicht alle Studierenden entsprechende Sprachkompetenz im Englischen vorweisen konnten.

In Budapest studieren die Studierenden, anders als in Nagykörös, alle in Vollzeit, haben aber mit 12 bis 14 Stunden Studienzeit pro Woche eine deutlich geringere Stundenplanauslastung als Studierende an der EvH. An den Vortrag schloss sich eine lebendige Diskussion an bezüglich der sozialen Bedingungen in Deutschland. Die von Becker aufgezeigte Armutsrisikoquote, die Quote der Kinder- und der Altersarmut, war für viele überraschend.

Gefragt wurde auch nach den Entgeltbedingungen für die Soziale Arbeit in Deutschland, denn in Ungarn verdient dieser Berufsstand lediglich 500 bis 600 Euro pro Monat, was nach Ausführung der Studierenden gerade für die Miete reicht. Auch die Professorinnen und Professoren für Soziale Arbeit arbeiten in Ungarn unter Gehaltsbedingungen, die ihnen meist noch einen zusätzlichen Job abverlangen. So arbeitet eine Dozentin vier Tage die Woche in einer Unterkunft für wohnsitzlose Menschen, allerdings beträgt das Lehrdeputat auch nur wöchentlich sechs Stunden.

Da die theologische Fakultät während Beckers Aufenthalt im Umbau begriffen war, wurde der Abendvortrag an die Fakultät für Humanwissenschaften verlegt. Trotz intensiver Werbung fanden sich jedoch nur Studierende der Sozialen Arbeit, nicht aber der Theologie oder der Humanwissenschaften ein. An diesem Abend wie auch im Anschluss an den gleichlautenden Vortrag zu den theologischen Grundlagen der Diakonie und den gesellschaftspolitischen Herausforderungen, den Becker in Nagykörös hielt, zeigte sich, dass der Aspekt der politischen Dimension und des politischen Mandats einer theologisch wertgebundenen Sozialen Arbeit ein für die ungarischen Studierenden fremder ist.

Die Arbeit ist in Ungarn eher auf eine Kultur des Helferhandelns ausgerichtet, die sich auf Aspekte der personenzentrierten Anwendung von Methoden der Gesprächsführung und der empathischen Achtsamkeit konzentriert. Ein Studierender betonte sehr deutlich, dass seine Motivation nicht das Geld sei, das er durch seine Arbeit verdiene, sondern allein, dass er anderen Menschen in Not helfen wolle.

Die beiden Vortragsveranstaltungen in Nagykörös wurden ähnlich wie die beiden anderen Vorträge in Budapest von jeweils etwa 20 Personen besucht, allerdings lag hier der Altersdurchschnitt deutlich höher, was daraus resultiert, dass in Nagykörös der Anteil von Berufstätigen, die parallel ein Aufbaustudium absolvieren, deutlich höher ist. Sowohl die Hochschule als auch das Studierendenwohnheim, in dem Becker die beiden Tage in Ngykörös lebte, wiesen eine deutlich familiäre Atmosphäre aus und waren zudem von einer sehr intensiven Gottesdienstkultur geprägt.

In der Hochschule fand jeden Morgen ein gut besuchter Gottesdienst von mindestens 45 Minuten statt. Überhaupt war ein stark christlich geprägter Geist an der Hochschule auffällig und möglicherweise auch dadurch geprägt, dass die spätere Arbeit in einer christlichen Einrichtung ein ganz besonderes Profil hat und zudem gegenüber den überwiegend staatlichen Einrichtungen ein Minderheitenprofil darstellt.

Der Besuch in der Einrichtung der Eingliederungshilfe in Cegléd, einem kleinen Ort, in dem die größte Kirche der Reformierten Kirche Ungarns steht, war für Becker imponierend und ambivalent zugleich. Hier leben zurzeit 55 Kinder und Jugendliche auf einem Gelände in Schlafräumen mit vier bis sechs Personen. Der Standard der Therapieräume, des Bastel- und Tonwerkraums wie auch der Waschräume ist mit dem in Deutschland kaum vergleichbar, das Außengelände hat einen Spielplatz und ein Trampolin sowie ein kleines Schwimmbecken, das im Sommer befüllt ist, aber es gibt kaum weitere Möglichkeiten für Aktivitäten und keine offensichtlichen Rückzugsräume.

Nur etwa drei Kindern wurde eine Schulfähigkeit attestiert (!), die überwiegende Zahl der Kinder und Jugendlichen wird von externen Lehrerinnen und Lehrern individuell oder in Kleingruppen in der Einrichtung beschult, und insofern erscheint diese Einrichtung noch weit weg von dem, was in Deutschland unter dem Aspekt von Inklusion diskutiert und praktiziert wird. Dennoch, wenn auch unter dem Vorbehalt einer nur kurzen Führung durch die Einrichtung: Die Atmosphäre und der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen war nach Beckers Wahrnehmung von einem professionellen Geist der Achtsamkeit und Empathie getragen.

In dem vorlaufenden Gespräch mit dem Geschäftsführer dieser und einer weiteren Einrichtung der Eingliederungshilfe in Trägerschaft der Reformierten Kirche fand der EvH-Lehrende auch Gelegenheit anzusprechen, ob und unter welchen Umständen ein Praktikum von EvH-Studierenden denkbar sei. Diesbezüglich zeigte sich der Geschäftsführer sehr aufgeschlossen und hielt auch die mangelnde ungarische Sprachkenntnis der Praktikantinnen oder Praktikanten für kein Hindernis. Man kam überein, dazu in Kontakt zu treten.

Das abschließende Auswertungsgespräch über Beckers Erfahrungen mit Prof. Dr. Robert Hecker-Réz, Assoziierter Professor am Institut für diakonische und sozialarbeiterische Ausbildung der Pädagogischen Hochschule der Reformierten Universität Károli Gáspár, bot zugleich die Perspektive abzuwägen, ob Hecker-Réz nicht im Rahmen seines Forschungsprojekts zur emotionalen Kompetenz in Sozialberufen als Burnout-Prophylaxe seine Erkenntnisse in einem Blockseminar mit Studiereden an der EvH diskutieren könnte. Becker sagte zu, eine solche Möglichkeit im Rahmen des Erasmus-Programms zu prüfen.

Foto: Prof. Dr. Uwe Becker mit der Geschäftsführerin einer Einrichtung für Behindertenhilfe in Ungarn (l.) und der entsprechenden Pflegedienstleiterin (r.).

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