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Rassismus als Problem in der Gebärdensprachgemeinschaft
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Rassismus als Problem in der Gebärdensprachgemeinschaft

„Rassismus – ein sichtbares Problem in der Gebärdensprachgemeinschaft?“: Am 20. Mai 2021 fand der zweite Vortrag der Veranstaltungsreihe „Nachteil hoch zwei plus x – Intersektionalität im Kontext von Behinderung“ statt, organisiert vom Transfernetzwerk Soziale Innovation (s_inn) und dem Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS).

Asha Rajashekhar: Taub und von Rassismus betroffen – Diskriminierung auf mehreren Ebenen

Diesmal referierte Asha Rajashekhar (Foto rechts) über „Rassismus – ein sichtbares Problem in der Gebärdensprachgemeinschaft?“. Sie ist Lehrerin, interkulturelle Koordinatorin an der Elbschule Hamburg und Beauftragte für Schule beim Gehörlosenverband Hamburg e.V. Durch ihre Taubheit ist sie bilingual mit deutscher Gebärdensprache und Schriftsprache aufgewachsen.

Der Vortrag richtete sich nach der Frage „Welche Rassismuserfahrungen machen taube Menschen im Alltag?“ und wurde in drei Hauptthemenpunkte unterteilt. Als erstes erläuterte Asha Rajashekhar den Begriff Gebärdensprachgemeinschaft und grenzte ihn vom Begriff Gehörlosengemeinschaft ab. Im Weiteren wurde aufgezeigt, dass taube Menschen sowohl innerhalb der hörenden Mehrheitsgesellschaft als auch in der Gebärdensprachgemeinschaft diskriminiert werden.

Diese Diskriminierung aufgrund der Taubheit wird als Audismus bezeichnet. Audismus findet sowohl auf individueller, struktureller und ideologischer Ebene statt. Zum besseren Verständnis des Begriffs wurde das kurze Video „5 Signs of Audism“ gezeigt. Dadurch wurde nochmal unterstrichen, dass die Gehörlosengemeinschaft oft eine audistische Perspektive der hörenden Mehrheitsgesellschaft erlebt.

„Gehörlose Geflüchtete allein unter hörenden Menschen sind besonders von Isolation betroffen“

Im darauffolgenden zweiten Themenpunkt gab es einen kurzen Rückblick zur historischen Entwicklung von Rassismus. Asha Rajashekhar hatte gemeinsam mit Silvia Gegenfurtner Interviews mit tauben Menschen, die von Rassismus betroffen sind, durchgeführt. Sie verdeutlichte anhand vieler Beispiele, dass Rassismus sowohl innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft als auch in der hörenden Mehrheitsgesellschaft stattfindet.

Schließlich stellte sie die Initiative „Deaf refugees welcome“ vor, um den Aspekt der Intersektionalität bzw. der Mehrfachdiskriminierung deutlich zu machen. So erleben gehörlose Geflüchtete – oft allein unter hörenden Menschen in ihren Unterkünften untergebracht – eine besondere Form der Isolation, weil nur sporadisch Gebärdensprachdolmetschung zur Verfügung steht. Das hat u.a. negative Auswirkungen auf die Integration im fremden Land und Asylverfahren.

Der letzte Themenpunkt bezog sich auf Rassismuskritik und legte den Fokus auf die Bedeutung von „Allyship“ (Verbündung) von weißen Menschen mit BIPoC (Black, Indigenous and People of Color). Um Rassismus entgegenzuwirken, müssen weiße Privilegien hinterfragt werden und Privilegierte sich als Verbündete sehen und auf Augenhöhe agieren. Auf die Gebärdensprachgemeinschaft bezogen stellt der mangelnde Zugang zu Informationen die größte Herausforderung dar. Literatur und Forschung sowohl zu Audismus als auch in Kombination mit Rassismus sind so gut wie nicht existent, und es fehlen zudem aufklärende und informierende Beiträge in Gebärdensprache.

Cinur Ghaderi: Allyship und Rassismuskritik müssen Thema in Wissenschaft und Gesellschaft sein

Der Vortrag wurde anschließend von Prof. Dr. Cinur Ghaderi, Professorin im Lehrgebiet Psychologie an der Hochschule RWL in Bochum, mit einem kurzen Statement ergänzt. Sie stellte die Bedeutung des Allyships heraus und bemerkte, dass das Denken in Dichotomien und die Aufwertung der eigenen Gruppe zwar psychologische Mechanismen seien, aber diese auch in soziokulturellen Strukturen stattfänden, also veränderbar seien. „Dass wir Schubladen aufmachen, ist gegeben, aber wie diese aussehen – wie tief, wie groß, wie farbig, mit oder ohne Griff – das bestimmen wir selbst.“

Darüber hinaus erwähnte sie ebenfalls die von Asha Rajashekhar erwähnten Wissenslücken in Wissenschaft und Forschung. Beendet wurde der Kommentar mit der Feststellung, dass Rassismuskritik und Allyship nicht nur durch Wissen repräsentiert werden, sondern dass sie auch politisches Handeln erfordern. Zum Schluss stellte Cinur Ghaderi die Frage „Was bedeutet Allyship in der Praxis und vor allem auch in einem professionellen Kontext?“ offen in das Plenum.

Zu dieser Frage äußerten sich in der anschließenden Diskussion sowohl taube als auch hörende Teilnehmer_innen, und es wurde sich darüber ausgetauscht, wie Menschen, die sich audistisch und rassistisch verhalten, begegnet werden kann. Dies wurde in verschiedenen Kontexten wie im Alltag oder in der Schule beleuchtet und von Asha Rajashekhar mit ihren Erfahrungen als Lehrerin und interkulturelle Koordinatorin an der Elbschule ergänzt.

Konsens bestand darin, dass sowohl innerhalb der Gehörlosengemeinschaft als auch in der hörenden Mehrheitsgesellschaft Aufklärung in diversen Punkten wichtig ist und dass es notwendig ist, Probleme wahrzunehmen und anzuerkennen.

An diesem Vortragsabend erlebten viele hörende Teilnehmenden den Nutzen von Gebärdensprach- und Schriftdolmetschenden für sich selbst: Ohne Übersetzung in die Lautsprache hätten sie dem sehr spannenden und wissenschaftlich fundierten Vortrag der tauben Referentin Asha Rajashekhar nicht folgen und keine Diskussion mit anderen gehörlosen Teilnehmenden führen können.

Weitere Informationen zur Vortragsreihe finden Sie auf der Website von BODYS unter dem Link https://www.bodys-wissen.de/Online-Vortragsreihen.html

Zum ersten Teil der Vortragsreihe lesen Sie hier den Bericht von Gudrun Kellermann:

Im Sommersemester 2021 startete jetzt die Vortragsreihe „Nachteil hoch zwei plus x – Intersektionalität im Kontext von Behinderung“ unter der Leitung des Transfernetzwerks Soziale Innovation (s_inn) und des Bochumer Zentrums für Disability Studies (BODYS).

Den Auftakt machte Prof. Dr. Swantje Köbsell mit dem Vortrag zum Thema „Behinderung & Geschlecht – Auswirkungen einer unvermeidlichen Intersektion im Leben behinderter Menschen“. Köbsell ist Professorin für Disability Studies an der Alice Salomon Hochschule (ASH) in Berlinund Vertreterin der deutschen „Krüppelbewegung“ der 1980er Jahre.

In ihrem Vortrag erklärte sie die Entstehung des Begriffs „Intersektionalität“, der die Überschneidung von verschiedenen Differenzkategorien wie Behinderung, Geschlecht, Rassismus, Migration und Alter beschreibt. Dabei ging sie insbesondere auf die Situation von behinderten Frauen ein, die nicht nur aufgrund ihrer Beeinträchtigung, sondern auch aufgrund ihres Geschlechts Ausgrenzungserfahrungen machen und in Kombination mit ihrer Beeinträchtigung häufig als „geschlechtslos“ wahrgenommen werden.

Außerdem zog sie Parallelen zwischenden Zuschreibungen für behinderte Männer und für nicht behinderte Frauen, denen jeweils die Rollenstereotype „schwach“, „hilfsbedürftig“, „passiv“ usw. zugeordnet werden. Köbsell verwies zu Beginn darauf, dass ältere Studienergebnisse die Geschlechtervielfalt im Kontext von Behinderung nicht einbezogen. Das ändert sich erst in jüngerer Zeit (siehe Hinweis in der Fußnote).

Anschließend folgte ein kurzes Statement von Dr. Sabrina Schramme, Lehrkraft für besondere Aufgaben an der EvH und Projektmitarbeiterin bei Bethel.regional. Sie bezog sich auf die Ergebnisse ihrer empirischen Forschung zum Thema „Inklusions-/Integrationserfahrungen und Intersektionalität“. Im Fokus standen dabei Integrationserfahrungen von behinderten Männern und Frauen im Kindes- und Jugendalter und das Zusammenwirken von Behinderung, Geschlecht und sexueller Identität. Schramme machte wie Köbsell deutlich, dass behinderte Menschen als „geschlechtslos“ und „asexuell“ wahrgenommen werden.

Organisiert wird die Vortragsreihe von Sinem Malgac (s_inn), Jens Koller (s_inn) und Gudrun Kellermann (BODYS). Weitere Informationen zur Vortragsreihe und zur Anmeldung finden Sie dort: https://www.bodys-wissen.de/Online-Vortragsreihen.html

Fußnote: Im Jahr 2020 setzte sich die Studie „LSBTIQ* inklusiv NRW“ mit den Erfahrungen von beeinträchtigten und chronisch kranken Menschen unter Berücksichtigung der Geschlechtervielfalt und unterschiedlicher sexueller Orientierungen auseinander (https://www.lsbtiq-inklusiv.nrw/).

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