",Die müssen hier weg´- Der Streit um den öffentlichen Raum in Essen": Mit einer Podiumsdiskussion kam die Veranstaltungsreihe "Schattenseiten" jetzt in die Evangelische Marktkirche Essen. Der Hintergrund: In den Städten des Ruhrgebiets ist der öffentliche Raum in Veränderung begriffen. Interessen von Bürgerschaft, Geschäftsleuten, Politik und sozialen Dienstleistern treffen - bisweilen turbulent - aufeinander.
Ein Thema, das den Essenern hochaktuell unter den Nägeln brennt, ist die Verdrängung der (Trinker-)Szene vom Bahnhofsvorplatz. Hier hakten die Diskussionsteilnehmer nach: Wo ist im Reformationsjahr Position zu beziehen? Wie können Dialog und Interessensvermittlung gelingen? Wer muss wo weg oder findet ebenso einen Ort?
Rege diskutierten Referenten wie Prof. Dr. Fabian Kessl von der Universität Duisburg-Essen, Christian Kromberg, Beigeordneter und Ordnungsdezernent der Stadt Essen, Petra Fuhrmann, Leiterin des Sozialzentrums Maxstraße, Mariele Freie, Studentin der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, sowie etliche der rund 100 Zuhörer in der Marktkirche. Die Moderation hatte der Journalist und ehemalige Chefredakteur der Essener NRZ, Ulrich Führmann, inne.
Am Essener Bahnhofsvorplatz haben die Ordnungsbehörden "die Spielregeln verschärft" und 400 Platzverweise in einer Woche ausgesprochen, wie Christian Kromberg berichtete. Die Folge: Die "Szene" hat sich vom Willy-Brandt-Platz zurückgezogen. "Das Problem aber ist dadurch nicht gelöst", gab Petra Fuhrmann vom Sozialzentrum für Wohnungslose zu bedenken. "Es hat sich nur verlagert." Obdachlose, Suchtkranke und/oder jene, die schlicht feiern wollten, seien nach wie vor da. Allein, sie verteilten sich nun auf sechs Standorte. "Meine Mitarbeiter müssen denen geradezu hinterher reisen."
Statt schneller Lösungen bot Fabian Kessl in seinem Vortrag eine Definition des öffentlichen Raums und strich dessen Stellenwert heraus: "Für die moderne Stadt ist er eine notwendige Bedingung." Inklusiv und potentiell allen Gesellschaftsmitgliedern zugänglich, sei der öffentliche Raum per se ein Ort der Auseinandersetzung, der Konfliktpotential berge und aushalten müsse. Exklusivität indes, die durch Verdrängung entstehe, stelle sein Konzept infrage. "Exklusivität ist ein Kennzeichen des privaten, nicht aber des öffentlichen Raumes", so Kessl.
Auch das Publikum meldete sich zu Wort. Ein Rentner etwa, der sich für Diversität auf dem Platz aussprach: "Ich persönlich bin häufig dort und habe noch keinen von `denen´ randalieren oder sich schlecht benehmen sehen." Christian Kromberg hingegen berichtete von Pöbeleien, aggressiver Bettelei und zerbrochenen Flaschen - eine CDU-Ratsfrau gar von wegbleibenden Kunden und verzweifelten Geschäftsleuten.
Die "Säuberung des Platzes" zum Schutz der Bürgerschaft also oder schlicht als Maßnahme, die Stadt für den Fremdenverkehr aufzuhübschen? Mariele Freie stellte an dieser Stelle eine entscheidene Frage: "Geht es hier noch um Menschlichkeit oder nur darum, dass Essen schöner wird, weil Menschen den Platz schmutzig machen?"
Eine Bilanz war für Moderator Ulrich Führmann nach gut zweistündiger Diskussion nicht ganz einfach zu ziehen. "Der Diskurs muss weitergehen", sagte er schlicht. Als kleinen Kompromiss gab Ordnungsdezernent Christian Kromberg Sozialarbeiterin Petra Fuhrmann ein Versprechen mit auf den Weg: die vorhandenen Streetworker-Stellen zu verlängern und gar aufzustocken - was Beifall unter den Anwesenden hervorrief. Konsens herrschte vor allem in Bezug auf die Podiumsdiskussion: Veranstaltungen wie diese sollte es häufiger geben.
„Schattenseiten – die soziale Wirklichkeit im Ruhrgebiet“ ist eine Reihe anlässlich des Reformationsjubiläums. Kooperationspartner sind die Evangelischen Kirchenkreise und Diakonien in Bochum, Essen, Dortmund, Duisburg und Oberhausen sowie die Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. Ziel ist es, nach Spaltungen, Reformen und sozialer Wirklichkeit im Ruhrgebiet zu fragen.