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Soziales Sterben geht dem physischen Tod voraus
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Soziales Sterben geht dem physischen Tod voraus

Keine Forschungsgrundlage trotz der Brisanz dieses Themas: Vor diesem Hintergrund hat sich Susanne Loke mit ihren Kommilitoninnen Laura Geser und Nadine Henke an das Lehrforschungsprojekt „Unentdeckte Tode“ gemacht und sich mit den Hintergründen des Lebens und Sterbens einer Gruppe unentdeckt Verstorbener in Gelsenkirchen befasst. Den Anstoß dazu gab Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek, die beim evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen-Wattenscheid das Referat Altern leitet. Sie weckte das Interesse der Studentinnen des Masterstudiengangs Soziale Inklusion: Gesundheit und Bildung an der EvH RWL. Der Theologin war bei der Durchsicht von Dokumenten aufgefallen, dass ein nicht unerheblicher Teil der ordnungsbehördlich Bestatteten schon längere Zeit tot in ihren Wohnungen gelegen haben muss. Die Studentinnen haben ihrer Forschungsarbeit also die Frage zu Grunde gelegt: Gibt es in Lebenslage und Sozialraum unentdeckt Verstorbener Gemeinsamkeiten?

Susanne Loke hat die Sozialraumanalyse übernommen und zu diesem Zweck Gelsenkirchener Stadtteile besucht, Bestattungsunterlagen eingesehen – die Dokumente von 59 verstorbenen Gelsenkirchenern standen ihr zur Verfügung – und sich in ein Thema eingearbeitet, mit dem sie sich vorher nie beschäftigt hatte. Ende 2013 nahm sie mit den Komilitoninnen die Arbeiten an der Forschungsarbeit auf. Ein Jahr später lag das Ergebnis vor. „Mein Studium hat durch diese Arbeit eine andere Ausrichtung bekommen. Ich würde mich gerne beruflich damit beschäftigen“, zieht Susanne Loke ihr persönliches Fazit.

Neuausrichtung, das passt zu der 50-Jährigen Wattenscheiderin. In den 1990er Jahren hat sie Sozialpädagogik studiert, vor der Diplomarbeit der Familiengründung den Vorzug gegeben. Es folgten eine Teilzeitbeschäftigung im sozialen Bereich, dann der Bachelor-Abschluss im Heilpädagogik-Studium. Jetzt absolviert sie den MA-Studiengang. Das Thema der Forschungsarbeit hat sie nachdenklich gemacht. „Es wäre möglich, Ursachenforschung zu betreiben, wenn die Zahl der unbemerkt Verstorbenen erfasst würde“, sagt sie. Denn: „Auf den Totenscheinen ist die Liegezeit erfasst.“ Allerdings würden diese Ereignisse von den Standesämtern statistisch nicht erfasst – obwohl es doch so einfach wäre.

Bei Menschen, die Tage, Wochen oder gar Monate tot in ihrer Wohnung lagen, bevor man sie fand, sei das soziale Sterben dem physischen Sterben vorweggegangen. Woraus die 50-Jährige den Schluss zieht: „Wir müssen schauen, wo die Verstorbenen aus dem Sozialraum gefallen sind, um künftig genau da anzusetzen. An diesem Punkt müssen Handlungskonzepte entwickelt werden.“ Weil davon auszugehen sei, dass das Thema in Zeiten demografischen Wandels, wachsender Altersarmut, Vereinsamung, aber auch der Erwerbslosigkeit an Bedeutung gewinne. „Nötig sind soziale Fachkräfte, die in den Quartieren auf Vereinsamung achten und Unterstützung anbieten“, formuliert sie ihre Zielvorstellung. Menschen mit geringen Ressourcen seien am ehesten vom einsamen Tod betroffen.

Susanne Loke sieht Ursachen des unbemerkten Sterbens auch in der Anonymität der Nachbarschaft. „Es fehlt die Aufmerksamkeit, das Nachforschen.“ Etwa durch Klingeln an der Tür eines Menschen, der plötzlich weg ist, durch Nachschauen, Hilfe holen …

Weitere Informationen zu diesem Thema können Sie dem Zeitungsbericht aus der WAZ Gelsenkirchen zum Download entnehmen.

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