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Studienabend zum Thema Sterbehilfe an der EvH
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Studienabend zum Thema Sterbehilfe an der EvH

Rund 30 Besucher_innen kamen jetzt zu einem Studienabend zum Thema "Sterbehilfe - Im Namen des Staates und in Verantwortung vor Gott?" in die Aula der EvH. Der Abend mit Vorträgen, einem Podiumsgespräch und Diskussion wurde von der Ev. Stadtakademie Bochum in Kooperation mit Solidarische Kirche von Westfalen und Lippe organisiert. Als Referent_innen waren geladen:

Dr. Matthias Thöns, Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann und Prof. Dr. Jörg Ennuschat

Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann hat Biologie und Philosophie an der Universität Tübingen studiert und in beiden Fächern promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wissenschafts- und Medizinethik sowie der Ethik sozialer Berufe. 2011 wurde sie als Professorin für Ethik an die Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum berufen. Seit 2017 ist sie Rektorin. Sie ist Mitglied des Deutschen Ethikrats.

Dr. Matthias Thöns (Foto, r.), geboren 1967 in Witten, ist Anästhesist und seit 1998 als niedergelassener Palliativmediziner tätig. Er ist stellvertretender Sprecher der Landesvertretung NRW der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und war Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags zur Sterbehilfe-Debatte.

Prof. Dr. Jörg Ennuschat ist seit 2014 Professor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht der Ruhr Universität Bochum. Seit 2016 ist er zuddem Mitglied der Synode des Ev. Kirchenkreises Hattingen-Witten. Den Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit bilden das öffentliche Wirtschaftsrecht, das Kommunalwirtschaftsrecht, das Verwaltungsrecht, das Glücksspielrecht, das Bildungsrecht sowie das Staatskirchen- und Kirchenrecht.

Anlass der Tagung war das durch Corona etwas in den Hintergrund gerückte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 zum Thema „Assistierte Sterbehilfe“. Der Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht revidiert darin sein Urteil aus dem Jahre 2015, in dem die Strafbarkeit von „geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung“ festgestellt wurde. Jenes war zwar hauptsächlich gegen Sterbehilfevereine gerichtet, aber es traf in bestimmten Fällen auch auf Ärzte zu, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden.

Solch ein Verfahren wurde auch gegen den Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns eröffnet. Thöns und andere Ärzte klagten, um Rechtssicherheit zu erhalten. Kritik am Urteil: Obwohl eine große Mehrheit der Deutschen dieses Urteil begrüßte, gab es auch kritische Reaktionen: So formulierte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse scharf und  schrieb in einem Leserbrief: „Hier haben ,furchtbare Juristen´ in geradezu  triumphalistischer Manier die Selbsttötung zum Inbegriff der Autonomie des Menschen gemacht.“

Ungelöste Fragen: Die Tagung listete die nach wie vor ungelösten Fragen auf und versuchte, sie einer Klärung näher zu bringen. Wann ist die Entscheidung der Sterbewilligen wirklich freiwillig? Wann ist dieser Wunsch endgültig? Und wer kann und soll die freie Verantwortung überprüfen? Sind Liebes- und Lebenskummer ausreichende Gründe? Wie kann verhindert werden, dass aus dem Einzelrecht auf einen assistierten Suizid für wenige sehr kranke Menschen ein Gewohnheitsrecht für Menschen in allen Lebenslagen wird?

Die Referent_innen: Prof. Ennuschat von der Uni Bochum gab zunächst eine juristische Klärung. Ausgangspunkt des Urteils des BVG ist die Autonomie des einzelnen Menschen nach Art. 2 Abs. 1 GG. Diese Grundrecht umfasst das Verfügungsrecht über das eigene Leben und auch die Inanspruchnahme  von Suizidhilfe. Darüber hinaus gibt es keine inhaltliche Einengung des Rechts auf Suizid etwa nur bezogen auf eine schwere oder unheilbare Krankheit. Das heißt, in jeder Lebenssituation besteht dieses Recht auf Sterben, es darf nicht moralisch bewertet werden.

Prof. Dr. Ennuschat sieht Gefahren darin, dass einerseits die Pflicht des  Staates, Menschen mit Suizidgedanken zu schützen,  in Konflikt mit dem neuen Gesetz steht, und dass es andererseits zu einem gesellschaftlichen Druck auf ältere kranke Menschen führen kann, diesen Sterbewunsch äußern zu müssen. Er fragte am Ende seines Vortrags: „Wie kann ein schleichender gesellschaftlicher Druck zur Inanspruchnahme von Suizidhilfe verhindert werden?“ Sein Fazit: Ist nicht hier der Schutz der Freiheit von wenigen gegen den Schutz von vielen erkauft?

Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann: In die gleiche Richtung argumentierte Prof. Graumann. Es entstehe ein Zielkonflikt, weil einerseits die Suizidprävention und die palliative Begleitung gestärkt werden sollen, andererseits die Suizidassistenz gewahrt werden müsse. Das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende sei zu begrüßen, wenn es gegen den staatlichen Zwang weiterzuleben verstanden wird. Das heißt, wenn es einerseits einen Schutz gegen Übertherapie und andererseits ein Recht auf Palliativmedizin und hospizmäßige Begleitung  beinhaltet.

Als Gefahren sieht Graumann in erster Linie: die zukünftige leichte Verfügbarkeit todbringender Medikamente, die Gefahr einer „Normalisierung“ des Suizids sowie eine besondere  Gefährdung vulnerabler Personen (Kinder, Behinderte, psychisch Kranke, etc.). Für eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz  fordert sie: eine institutionelle sozialpsychologische Versorgung der Sterbewilligen sicherzustellen (ähnlich wie bei der Schwangerschaftsberatung), vulnerable Gruppen vor sozialen Druck zu schützen, die Suizidprävention zu stärken.

Dr. Matthias Thöns unterstützte das neue Gesetz ausdrücklich. Er begrüßte, dass der Gesetzgeber dazu aufgefordert wird, ein „prozedurales Sicherungskonzept zu erstellen, d.h. Vorgaben zu machen über die Art der Aufklärung und die Überprüfung des freien und nachhaltigen Entschlusses". Ausdrücklich empfehlen ja die Richter „je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillen zu stellen“.

Thöns betonte, dass er und auch kein anderer verantwortungsbewusster Arzt leichtfertig eine tödliche Arznei verschreiben würden. Seiner Ansicht nach betreffe dieses Gesetz weder die Unglücklichen noch die Schwerkranken, sondern fast ausschließlich die Sterbenden mit großen Schmerzen und schwersten Beschwerden. Das seien weniger als ein Prozent der Palliativpatienten. Bei dieser Gruppe müsse der Palliativmediziner frei von strafrechtlicher Verfolgung die Suizidhilfe als Option haben.

Dabei müsse das Palliativteam gemeinsam mit den Patienten und Angehörigen die Vorgaben des Gesetzgebers beachten. Es müsse das „VIER-Augen-Prinzip“ gelten. Weitere zeitraubende Vorgaben wären in diesen Fällen kontraproduktiv. Wenn die Ärzte hier nicht helfen würden, bliebe das Feld den kommerziellen Sterbehilfevereinen überlassen, was nicht geschehen dürfe. Aber eines machte Thöns auch deutlich: Die wahren Probleme von Schwerkranken mit Todeswunsch seien der Mangel an palliativen Versorgungsstrukturen und die Übertherapie am Lebensende.

Die Menschen hätten eher Angst davor, allein in einem Krankenhaus an Apparaten angeschlossen zu sterben als vor dem selbstbestimmten Tod zu Hause. Er habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen die Todespille erst einmal beiseite legten, für den Fall aller Fälle. Und in den meisten Fällen stürben sie dann vorher ohne die Pille. Eine schiefe Ebene zu mehr assistierten Suiziden durch das neue Gesetz sehe er nicht.

Fragen aus dem Plenum: Exemplarisch seien noch zwei Anfragen aus dem Plenum erwähnt. Dr. Thöns wurde gefragt: “Was ist, wenn mein achtzehnjähriger Sohn zu Ihnen kommt und Sie um einen assistierten Suizid bittet?" Antwort: "Ich würde mich nicht darauf einlassen und auch kein anderer Arzt." Ein Statement zu den Ausführungen von Prof. Dr. Ennuschat: "Ich finde das Gesetz für mich existentiell wichtig, wenn ich mir vorstelle, dass ich Windeln tragen muss und verschiedene Pfleger und Pflegerinnen mich im  Intimbereich waschen, dann möchte ich von meinen Recht auf assistierten Suizid Gebrauch machen." Antwort: "Wissen Sie, mein Vater war Berufsoffizier und immer ein starker Mann. In den letzten drei Lebensjahren war er auf Windel und Intimpflege angewiesen, und er hat jeden Tag seines Lebens genossen."

Trotz der intensiven Ausführungen der Referent_innen und der anschließenden Diskussion im Plenum  konnte diese Tagung nur ein erster Schritt in eine komplizierte Thematik sein.

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