Wie komme ich denn ins Internet? – Studierende begleiten Quartiersbewohner_innen in die digitale Welt: Mit der allgemein fortschreitenden Digitalisierung bestehen – nicht nur pandemiebedingt – zunehmend Überlegungen, Quartiersentwicklung auch bzw. ergänzend digital zu denken. Digitale Angebote können die bisherigen Präsenzangebote und Aktivitäten erweitern und haben das Potenzial, neue Möglichkeiten z.B. der Vernetzung gerade auch für ältere Quartiersbewohner_innen zu schaffen. In Zeiten von pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen und „social distancing“ ergibt sich jedoch für die Gruppe der (älteren) bisherigen „Nicht-Nutzer_innen“ ein fast unüberwindbares Dilemma: Wie komme ich denn ins Internet? Wie kann ich die digitale Welt kennen lernen, wenn aktuell kaum Möglichkeiten bestehen, einen Einführungskurs im Quartier zu besuchen? Wie kann ich möglichst einfach in das „world wide web“ einsteigen, wenn ich überhaupt keine Vorerfahrungen habe?
Hier setzte die Lehrveranstaltung „Soziale Altenarbeit neu denken – alter(n)sgerechte digitale Konzepte entwickeln“ von Prof. Dr. Andrea Kuhlmann im Sommersemester an. In enger Kooperation mit der Quartiersentwicklung Bochum-Hofstede, im Auftrag der Familien- und Krankenpflege Bochum gGmbH, vertreten durch die Quartiersmanagerin Heike Rößler und mit einem Entwicklerteam aus drei Studenten der TU Dortmund, wurde ein einfaches digitales Angebot erprobt.
Dieses bietet Menschen ohne digitale Vorerfahrung über den Prototyp der Plattform „HeimBridge“ einen einfachen Zugang zu verschiedenen Anwendungen (z.B. Informationen, Spiele, Nachrichten). Unter dem Motto „Die Brücke zur digitalen Heimat“ möchte das Entwicklerteam von HeimBridge Teilhabe an der digitalen Welt ermöglichen. Diese Idee trifft auf einen nicht unerheblichen Bedarf.
So ist beispielweise aus der DIVSI Studie (Link: https://www.divsi.de/wp-content/uploads/2016/10/DIVSI-UE60-Studie.pdf) bekannt, dass allein in Deutschland 10 Millionen der über 60-jährigen keine Internetnutzer sind. Ausschlaggebend dafür sind u.a. fehlende Zugänge zur digitalen Welt, mangelnde Abstimmung der Angebote auf Bedarfe der Zielgruppe oder mangelndes Vertrauen und Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Sicherheit der Angebote.
„Genau da setzt unsere Geschäftsidee an: Wir bieten eine digitale Plattform inklusive Tablet und mobilen Internetzugang an, welche der Zielgruppe den einfachen Einstieg ins Internet und die intuitive Nutzung digitaler Inhalte ermöglicht. Der Aufbau unserer digitalen Plattform unterscheidet sich deutlich von klassischen Webseiten- und App-Strukturen. Diese sind voll mit Symbolen und Strukturen, die für Menschen ohne digitale Kenntnisse oftmals schwierig zu erfassen sind,“ informiert Entwickler Jonas Spieth. „Deshalb ist unsere Plattform wie ein Haus aufgebaut, das digitale Repräsentationen realer Objekte mit Inhalten des Internets verknüpft. Der Fokus liegt hierbei auf kurzen Klickwegen und einer ‚Verortungʹ der Nutzer_innen im Haus. Dies bietet Orientierung und Sicherheit. Es verhindert, dass Anwender_innen das Gefühl haben, sich zu verirren oder befürchten, ‚etwas kaputt machen zu könnenʹ“, beschreiben Jan Wörheide und Daniel Sonnabend die Vorteile der HeimBridge-Plattform.
Über persönliche Kontakte der Quartiersentwicklerin Heike Rößler sowie über die Lokalpresse ist es gelungen, zwölf Quartiersbewohner_innen und Interessierte aus anderen Stadtteilen für die Teilnahme zu gewinnen. Die (älteren) Teilnehmenden konnten ein eigenes Endgerät nutzen oder über das Entwicklerteam ein Leihtablet erhalten. Über einen Zeitraum von rund vier Wochen wurden die Teilnehmenden individuell durch Studierende der Sozialen Arbeit der EvH RWL engagiert in mehreren Einzelkontakten begleitet und bei der Erprobung der Tabletanwendung unterstützt.
„Mit der „Eins-zu-Eins“-begleitung ist es gelungen, die Teilnehmenden individuell zu unterstützen, Fragen ausführlich zu beantworten und vor allem auch Ängste zu nehmen, digitale Angebote zu nutzen. Die Unterstützung der Aneignung digitaler Angebote und digitaler Teilhabe stellen wichtige Aufgaben dar, die zukünftig auch im Kontext Sozialer Altenarbeit von Fachkräften zu gestalten und zu koordinieren sind“, erläutert Andrea Kuhlmann. Darüber hinaus habe die Studierenden auch Forschungserfahrung gesammelt und die Teilnehmer_innen zu ihren Erfahrungen mit der Plattform „HeimBridge“ sowie Wünschen und Bedarfen befragt.
Am 29. Juni 2021 trafen sich nun alle Beteiligten zum Abschlusstreffen im Garten der Tagespflege der Familien- und Krankenpflege, um gemeinsam Erfahrungen auszutauschen. Das Entwicklerteam der Plattform und die studentischen Begleiter_innen der EvH erhielten großes Lob – die Kombination aus Hard- und Software und persönlicher Begleitung wurde sehr geschätzt.
Insbesondere Teilnehmende ohne jegliche Vorkenntnisse profitierten von dem Angebot. Auf diese Weise wurde das Interesse an digitalen Anwendungen geweckt und die Handhabung eingeübt. Darüber hinaus wurden den Entwicklern Anregungen zu weiteren Anwendungsbereichen sowie Hinweise zur Optimierung der Plattform zurückgemeldet. Ein besonderer Erfolg ist, dass viele Teilnehmende den Wunsch äußerten, die Zusammenarbeit fortzusetzen.
Mitte Juli soll darüber beraten werden, wie aus diesem Pilotprojekt ein hybrides Angebot der Quartiersentwicklung entstehen kann. „Es ist eine sehr gute Resonanz und ein großes Interesse festzustellen, die neuen digitalen Möglichkeiten zu nutzen und diese auch zu erweitern. Es bietet sich die Chance, die analoge wie digitale Vernetzung zu unterstützen und in die Arbeiten der Quartiersentwicklung aufzunehmen,“ resümiert Heike Rößler.
Auch die Studierenden der Sozialen Arbeit ziehen ein positives Fazit: Die persönlichen Begegnungen und der Austausch in der Gruppe zum Abschluss des Seminars wurden als Bereicherung erlebt. Einige haben zudem Interesse signalisiert, die Quartiersbewohner_innen in digitalen Fragen auch nach der Lehrveranstaltung weiter zu unterstützen.