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Nebenher
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Nebenher

Studieren, Lehren und Arbeiten finden bei vielen im Moment vom Küchentisch oder bei dem Traumwetter der letzten Tage von einer schönen Parkbank aus statt. Wie gut, dass unsere Hochschule uns allen diese Möglichkeit einräumen kann. Mails, Telefonieren, Skypen, E-Learning ermöglichen Wissenstransfer, Teilhabe und halten alle an der Hochschule zusammen - zumindest, wenn Internet und Mobilfunk funktionieren. Das Gefühl, die eigene Zukunft, sei es im Job oder im Studium, fortschreiben zu können, entspannt. Ein Fünkchen Sicherheit in einer durch die Pandemie stark verunsicherten Welt. Nicht alle haben in diesen Zeiten so ein Glück.

Digitales Lernen ist jedoch auch einsames Lernen und Lehren. Etwas, was sonst immer da ist, fehlt. Besonders an einer Hochschule, die wegen ihrer familiären Atmosphäre, ihrer Überschaubarkeit und Studierendenfreundlichkeit, ihren Angeboten des sozialen Lernens beliebt ist. Ich frage mich, wie geht es wohl Euch Erstis? Ihr, die Ihr Euch auf die nette, familiäre Hochschule gefreut habt, die Ihr die EvH wegen der menschlichen Nähe gewählt habt, die Ihr noch keine Erfahrung mit Studium und dem Leben an unserer Hochschule habt, und die Ihr nun in einer Art „Fernstudium“ angekommen seid? Findet Ihr, was Ihr braucht?

Die Corona-Krise hat manche Erstsemester und fortgeschrittenen Studiensemester schwer getroffen. Finanzielle Engpässe oder Corona-bedingte Einsamkeit hat sie zurück in die elterlichen 4-Wände verschlagen. Kinderzimmer statt Studierenden-Partys. Das Hochschulleben fast nur noch virtuell. Neue Freundschaften fast nur noch online. Und mancher Traum von der eigenen Wohnung liegt auf Eis, bis wieder bessere Zeiten kommen. Wer zuvor schon Schwierigkeiten mit Zeitmanagement und Selbstmotivation hatte, hat es jetzt ganz schön schwer.

Wie viele vermisse auch ich die Gespräche auf den Fluren, das Geschirrklappern und muntere Plappern in Cafete oder Mensa, das Lachen von Studentinnen und Studenten, die gemeinsam auf den Sitzelementen in der warmen Frühlingssonne unter den alten Bäumen vor unserer Hochschule abhängen, die liebenswerten Semesteraktionen, die Spontankonzerte der in der Studierendenschaft verborgenden Musikvirtuosen, die Hochschulgottesdienste, die leckere Waffelbäckerei von Umtriebigen für einen guten Zweck, die EvH-Kreativ-Abende mit Würstchen grillen und Bühne für die Songwriter, Schauspiel- und Musiktalente unter den Studierenden. All das, was unsere Hochschule so liebenswert, so anregend macht.

Mir fehlen sogar die Gerüche nach Putzmittel oder die stickige Luft der Hörsäle, das Knarzen der Stühle, die schon längst ausgetauscht gehörten. Und ich warte ungeduldig auf den Tag, an dem wieder die Gäste aus der Ferne und Nähe durch die Hochschule schlendern, die Infotische von Kooperationspartner_innen, sozialen Institutionen, anderen Hochschulen, unserem ASta ins Foyer stellen.

Ich freue mich auf das freundliche Lächeln unserer Reinigungskräfte, die Tag aus, Tag ein, verlässlich im Hintergrund des Hochschullebens ihre Bahnen durch Gänge und Räume ziehen und säubern, was wir, Mitarbeitende, Dozent_innen und Studierende, an Dreck und Müll hinterlassen. Doch seit Corona ist der liebenswerte Theaterhimmel unseres Hochschullebens wie ausradiert.

Das farbige Leben, die fröhliche und warmherzige Kulisse unseres Hochschulalltags – einfach weg. Dieser Schauplatz, durch den wir in Vor-Corona-Tagen oft recht achtlos hindurchhechteten, von Lehrveranstaltungen zur Mensa, Cafete, Studierendensekretariat oder Dozentengebäude, die schwankenden Wogen des Kaffees im Akafö-Becher kapriziös ausbalancierend.

Vieles, was für unser Wohlbefinden wichtig ist, läuft nebenher. Das macht diese Krise bewusst. Da wird mal eben auf dem Weg zur Mensa erzählt: „Ja, in meinem Praktikum, da haben wir auch…“ Da fragt jemand beiläufig auf dem Weg durchs Treppenhaus und zum Altenbochumer Bogen: „Weißt Du eigentlich, wie man ein Portfolio erstellt?“ Wo man als Studi Professorinnen und Professoren mal schnell zuraunen kann: „Darf ich Sie mal was fragen, nur ganz kurz?“ Wo ein kleines Zucken um die Mundwinkel verrät, wie mein Gegenüber gerade denkt. Wo ich Lehrende, Kommiliton_innen erstmal ganz still aus der Ferne, nur für mich, auf Herz und Nieren prüfen kann. Und das aufmunternde Augenzwinkern von Kollegen und Kolleginnen den sorgenvollen Blick entspannt, wenn diese ihren aufgeregten Studierenden zwischen Tür und Angel vor einem Referat noch schnell ein bisschen Mut zusprechen: „Das wird schon. Sie schaffen das!“

Dafür blicken wir via Skype in private Arbeitszimmer von Dozent_innen, WG-Küchen, Ex-Kinderzimmer von Studierenden, quälen uns durch eine Flut an Texten in E-Mails, in denen ich mir Freundlichkeit, menschliche Wärme, Augenzwinkern oder manchmal auch einen zynischem Unterton hinzudenke und spekuliere, wie die virtuellen Gesprächspartner_innen wohl „in echt“ sind?

Erstaunlicherweise findet sich gerade in dieser Corona-bedingten Erfahrung von Entbehrung menschlicher Nähe und Wärme, in dieser Zeit großer Unsicherheit, in der sich nur langsam wieder Zuversicht einstellt und vorsichtige Schritte in Richtung Normalität gegangen werden, eine Nähe zu den Kernerfahrungen der christlichen Urgemeinde.

Was im liturgischen Kirchenjahr leichtfüßig als „Österliche Freudenzeit“ bezeichnet wird, ist, wenn wir genauer hinschauen, vor allem eine Zwischenzeit. Eine Zwischenzeit, in der, ähnlich wie wir, auch die Freunde und Freundinnen um Jesus eine zaghafte Öffnung nach dem Shutdown erleben.

Jesu Hinrichtung war für die Jünger der Super-Gau. Ihr ganzes Lebenskonzept geriet aus den Fugen. Sein Tod brachte sie in freien Fall. Es war kein Virus, das sie in Verstecke flüchten ließ und Kontakte auf ein Minimum begrenzte. Die Hinrichtung Jesu als Aufrührer machte sie vogelfrei. Ihre existentiellen Bedrohungen hießen Verhaftung, Verrat, Verfolgung, Folter und Tod. Ein Zustand, der im Übrigen auch danach noch viele Jahrzehnte und Jahrhunderte für die Nachfolger_innen Jesu gelten sollte.

Ich mag die nachösterlichen Geschichten über Jesu Freunde, erzählen doch ihre Geschichten, wie man in schweren Zeiten trotzdem die Hoffnung behält.

Wie also behält man Hoffnung?
Die Hoffnung, von der die österlichen Evangelien erzählen, ist überraschend und zugleich immer schon zugegen. Sie taucht in einer Leerstelle des Lebens auf, am Tiefpunkt, wo niemand damit rechnet. Und doch, so erzählen die Evangelien kunstvoll Geschichte um Geschichte, war sie im Verborgenen immer schon angelegt. Wie manche Idee, die manche Selbstständige nun in der Krise aus der Schublade ziehen. Wenn die Hotelmanagerin eines Hotels für Geschäftsreisende jetzt Wohnungslose beherbergt und dabei mehr Glück verspürt als vorher oder die Kantine einer großen Krankenversicherung sagt: Dann kochen wir eben für die Tafeln, anstatt das Kantinenpersonal in Kurzarbeit zu schicken.

Auferstehung - die österliche Hoffnung ist jedoch mehr als die Füllung einer Leerstelle. Sie ist, so entfalten die Evangelien, ein Prozess, in dem Jesu Freunde und Freundinnen nur langsam, Stück für Stück, von dem Neuen begreifen. Erst nach und nach begreifen die Jünger Jesu, dass mit dem Kreuz nicht alles aus ist, dass sie erst jetzt mit der Erfahrung der Krise im Rücken Vieles neu sehen lernen.

Es sind vorsichtige Wege der Hoffnung, der Sinngebung, der Gemeinschaft und des Vertrauens, die sie beschreiten. So wie Maria am leeren Grab, so wie die Freunde auf dem Weg nach Emmaus oder wie Thomas, der nach handfesten Fakten sucht. Auch in 2020 wird sie, die Hoffnung, ihre Zeit brauchen. Aber ganz gewiss ist sie auch jetzt schon da.
Das eigentlich Spannende aber ist, dass dieser Prozess nicht ins Stocken gerät. Dass Jesu Freunde an ihrem Sämling Hoffnung festhalten,- allen Widrigkeiten zum Trotz. Es ist nicht einfach der Glaube an ein - allem menschlichem Ermessen widersprechenden - Ereignis oder ihre Gemeinschaft, die sie stark macht.

Es ist der hoffnungsvolle andere „Algorithmus“, den Jesus, der große Menschenfreund, mit seinem Leben errichtet hat, mit seiner warmherzigen Fürsorge für Schwache und Am- Rand-Stehende, seiner Treue gegenüber Gott und seinem tiefen Vertrauen in Gottes Liebe und sein Versprechen „Ich werde da sein…“. Dieser Glaube an die göttliche Liebe des Jesus von Nazareth, die stärker ist als der Tod, lässt die Jünger erstarken. Auf diesem Weg wollen sie weiter gehen. Er gibt ihrem Leben, aber auch dem Leiden einen tiefen Sinn, Widerstandskraft. Sie wollen fortführen, was mit Jesus an Menschenliebe und Versöhnung begonnen hat.

Auch die Pandemie zwingt uns als Einzelne, als Gruppe und auch als Institution, immer wieder neu zu entscheiden, nach welchem Algorithmus wir uns ausrichten wollen, wie wir Verbundenheit und Menschlichkeit im digitalen Raum Hochschule, aber auch im Privaten, in unserer Stadt erhalten wollen, wie wir die, die jetzt am Rand stehen, hineinnehmen können, vielleicht auch jenseits von facebook, Twitter & Co. Denn nicht alle sind vernetzt, nicht alle sind finanziell so ausgestattet, dass sie an der digitalen Welt teilhaben können. Das ist gerade jetzt nicht zu überhören!

Auch Sie haben eine Idee oder einen Wunsch, der Studieren und soziale Kontakte in diesen Zeiten leichter machen könnte?

Schreiben Sie mir unter haberland@evh-bochum.de! Gern leite ich Ihre Ideen und Wünsche an die passenden Stellen weiter.

Seien Sie herzlich von mir gegrüßt! Mögen Sie gesund bleiben, und Gott segne Sie!
Ihre Brigitta Haberland (Seelsorge)

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